werde ich?

Werd' ich dir von den winzigen Blümchen erzählen, die in den ersten Löchern der Schneefelder spriessen, wenn du dann zwischen den Schläuchen liegst? Werde ich dir von den Sturzbächen erzählen, von ihrer Frische und ihrer endlosen Kraft, wenn du dann nicht mehr gehen kannst? Werde ich Dir von der warmen Stube erzählen, deren Holz den Ofenrauch all der Jahre ausatmet, wenn du deine Augen nicht mehr öffnen kannst? Oder werde ich nur schmal und feige daneben stehen; nichts sagen, um dich nicht traurig zu machen? Wird es schon im nächsten Frühling so weit sein?
_sophie_ - 23. Nov, 12:43

Schmal und feige daneben stehen, vermutlich, obwohl das Erzählen die bessere Wahl wäre, denn schöne Bilder machen schöne Gefühle und Gedanken und die Sehnsucht, die sich damit einstellt, ist allemale besser als die Angst und der Schmerz und das Warten. Überhaupt ist Sehnsucht, trotz des Zerrens und Ziehens, etwas wunderbares, erweitert sie doch Körper und Geist über die eigenen Grenzen hinaus und kann mehr Freiheit bedeuten, als das Wort herzugeben bereit ist. In Sehnsucht träumen zu dürfen, was könnte wunderbarer sein, während des langen Wartens.

Ich wünsche, was genau, wissen Sie.

Ole (Gast) - 23. Nov, 12:45

Träume mögen Schäume sein, aber auch ein Schaumbad kann entzücken. :)
moccalover - 23. Nov, 22:15

Das werd' ich wohl, Frau Sophie, obgleich: Dieser Mensch zwingt sich, das liegt in seiner Familie, zum Realismus. Zum qualvollen Realismus. Bei ihm habe ich gelernt, den Dingen ins Auge zu sehen, er hasst nichts mehr als einen Umdenbreirumredner. Er will nicht bedauert, sondern beachtet werden, und so öffnete uns das eine ehrliche, schonungslose Freundschaft. Das Ironische daran: Diese Freundschaft tut nur das, was eigentlich naheliegend wäre. Sie ist ganz normal, ausser dass sie nicht ausblendet, nicht ausblenden kann, wie man es sonst gemeinhin tut, dass das Leben bald zuende ist. Denn sein Leben ist sehr bald zuende. Und dann merkt man, wie unwichtig das irgendwie auch wieder ist, so schmerzvoll es im Lichte unserer alltäglichen Vorstellungen auch scheinen mag. Denn es ist eine Tatsache, an die wir nur nicht denken mögen (und das ist ja gut so). Und ich danke für die Wünsche!

Ich werde ihm also von den Blumen erzählen, aber ein schlechtes Gewissen dabei haben, oder besser: trotz all seinem Widerwillen Mitleid verspüren. Mitleid wohl mit mir selber.

Ein Schaumbad, lieber Ole, gönnte ich mir nur allzugerne; doch unsere Wohnung kann nur mit einer hässlichen Dusche auftrumpfen, Badewannen sind ausser Sichtweite. Dafür schätze ich meine seltenen Aufenthalte in Thermalbädern umso mehr.
sravana - 23. Nov, 20:43

Ich denke in solchen Momenten macht man das Möglichste und dies wird das Richtige sein.

moccalover - 23. Nov, 22:18

Er ermöglicht es mir ja, ihm nichts vormachen zu müssen. Ich versuche, wenn auch unter Schmerzen, seine Krankheit wie den Nebel oder die Zugsverspätung zu behandeln. Es hilft uns beiden, überhaupt darüber sprechen zu können. Und wenn der Moment kommt, dann wird es hoffentlich gehen, ihm vom Leben zu erzählen.
sravana - 23. Nov, 22:24

er wird dich verstehen.
moccalover - 23. Nov, 22:38

danke.
Mo (Gast) - 24. Nov, 00:59

Sie werden es müssen - für sich, für das Schlauchgegenüber.
Und Sie werden es nach dem ersten Satz, nach der Hemmschwelle, gerne tun.
Immer wieder.
Bis zum Schluss.
Für Sie beide.

Gemeinsame Bilder.
Als Beispiel.

Abschied nehmen heisst es für den, der noch gehen kann, Augen, Nase und Ohren hat, die all das sehen, riechen, hören und auch sonst wahrnehmen, heisst es aber auch für den, der vertrauensvoll auf die Schilderung angewiesen ist, um in seinem Gehen und in seiner völlig anderen, nötigen Wahrnehmung ein Stück Geborgenheit zu empfinden, Heimat, Zuhause.
..
Es ist die Jahreszeit dafür.

Gehen braucht Kraft.
Begleiten braucht Kraft.
Zulassen braucht Kraft.
Loslassen erst recht.

Dass sie beide die Kraft finden, sie gerne geben, gerne nehmen, das wünsche ich Ihnen.
Von Herzen.

Genauso wie gemeinsame Bilder.

moccalover - 24. Nov, 22:20

Vielen Dank, Ihre Worte berühren mich sehr. Und legen in mir Steine zur Mauer jener Kraft, die Sie beschreiben.
Mo (Gast) - 25. Nov, 01:17

Eins noch zu diesem Thema an dieser Stelle:

Mauern einreissen, sie mit Vogelflaum bedecken, bepflanzen, mit Kieselsteinen zieren, Steinchen für Steinchen geteilt, Geschichten erzählend, Gefühltes, Blicke, Sprachlosigkeiten, mit völlig legitimer Trauer, auch mit Leichtigkeit, auf beiden Seiten, nicht neue mauern, Stein auf Stein.
Letzteres geht schief in solchen Lebensmomenten.
Nicht abwehren, zulassen.
Nicht stark sein, sondern durch und durch Mensch.
Sich trauen, dem anderen vertrauen. Zutrauen.

Keine Lebensberaterfloskeln, sondern hunderte Male erlebt.
Jedes dieser Male war einzigartig - wie der Mensch gegenüber.

Kommen Sie gut in die Nacht, in den nächsten Tag!
moccalover - 30. Nov, 21:42

Ich hätte auch sonst nicht an Floskeln gedacht, das ist viel zu echt und gut geschrieben. Vielen Dank für diese schönen Zeilen und für die darin verdichtete Erfahrung.
Kirschrot - 1. Dez, 10:29

Herr Moccalover, Sie werden erzählen, wenn er es möchte. Sie werden alles tun, was ihm hilft, was ihm gut tut, was ihn für einen Augenblick lächeln lässt. Ich denke nicht, dass es ihn traurig machen wird, denn über dieses Stadium ist man schnell hinaus. Er wird sich vermutlich mehr Gedanken um Sie machen als um sich selbst.

Sie werden nicht feige sein. Man kann viel in solchen Augenblicken, viel mehr, als man sich selbst zutraut, als man vorher jemals hätte glauben können. Wenn jemand leidet, den man liebt, ist die Hilflosigkeit das Schlimmste. Deshalb, denke ich, wächst man über sich selbst hinaus, kann viel, viel mehr. Man möchte alles geben, was man geben kann, und doch hat man immer das Gefühl, dass es zu wenig ist. Ich wünsche Ihnen Kraft, Mut, Vertrauen, obwohl das nicht nötig ist, denn Sie werden all das haben. Dessen bin ich sicher.

moccalover - 2. Dez, 22:35

Ich denke, ich weiss, was Sie meinen; und danke für Ihre aufbauenden Worte! Wenn man so ohnmächtig ist, dann kann man gerade daraus neue Kraft schöpfen, und sich vergessen und nur noch darauf richten, in dieser nun mal gegebenen Situation zu helfen.

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