Donnerstag, 24. November 2005

willkommen.

und plötzlich schneit es. Die Flocken werden vom Wind gepeitscht, und in ihrem Fall vereinen sie sich zu Leintüchern, deren Falten von den Strassenlampen beschienen werden. Vorbei die Beschwichtigung, dass man sich doch erst gerade noch an der Abendsonne gewärmt hatte. Willkommen, du Winter, du ewiger Gast; sei wenigstens weiss und hell.

zeitensprung.

In der Stube, im Fernsehen warb eine ehedem preisgekrönte Stadtschönheit in enger Bekleidung und starker Befärbung für ein Ratespiel, das sich mit Fernsehwerbung auseinandersetzte und beworbene Produkte als Gewinne auslobte. Max räumte zum dritten Mal den Abwaschautomaten wieder aus, um durch klügeres Einordnen sämtliches Geschirr unterbringen zu können. Gerd klaubte Farbstifte und Papierschnipsel vom Boden. „Das war ein schöner Sonntag, Gerd! Ich finde mich plötzlich in einem neuen Zeitalter wieder.“ Gerd blickte auf, erhob sich und holte Schaufel und Besen. „Ja, es war sehr schön, aber was plapperst du von neuen Zeiten?“ Kauernd wischte er Krümel und Schnipsel auf die rote Plastikschaufel mit dem ergonomischen Griff. „Ist doch klar, wir waren vor recht kurzer Zeit noch Kinder, haben uns hier gerade erst als Erwachsene im eigenen Reich konstituiert, und plötzlich rennen diese kleinen Kinder uns um die Ohren, ziehen Klopapier quer durch die Wohnung und lassen ihre Tassen halbvoll stehen.“ Max fluchte theatralisch, weil er gerade eine Tasse beim Einräumen auf den Kopf gestellt hatte, ohne zu ahnen, dass die Milch auf den Maschinendeckel und von da aus auf seine Hosenbeine spritzen würde. „Verstehst du, wir haben die paar Jahre doch krampfhaft versucht, erwachsen zu sein, uns nach unseren Vorstellungen einzurichten und auch so zu leben, in unserem Reich. Aber wir wussten immer, dass das hauptsächlich Mache war. Und dann kommen die Kinder und machen einen gleichsam begriffsnotwendig zu Erwachsenen. Das ist der Zeitensprung.“ Max schob die Schubladen sorgfältig in die Maschine zurück und schloss den Deckel triumphierend. Er setzte sich an den kleinen Holztisch und legte seine Füsse auf einen zweiten Stuhl. Gerd leerte seine Schaufel in den Abfalleimer, versorgte das Putzzeug und setzte sich ebenfalls. „Ja, nun, ja, die sind süss, die Kleinen, nicht?“ „Keine Frage, Gerd! Süsse Mutter, süsse Kinder, alles wunderbar! Und sie mögen dich sehr, vertrauen dir, beziehen dich mit ein; das sieht man. Sie sind eigentlich eher scheu, aber sie wollen andauernd auf deinem Schoss oder auf deinen Schultern sitzen. Mir gefällt, dass Eva jetzt auch ab und zu hier erscheint, dass ich sie auch kennenlernen durfte, und dass sie die Kinder mitnimmt.“ „Das ist es ja, Max. … Nimmst du einen Kaffee, vielleicht?“ „Gerne; aber, was meinst du genau?“ Gerd stand auf, drehte sich um und wandte sich der Kaffeemaschine zu; er mahlte das Pulver, füllte das Sieb und brühte den Kaffee mit bedächtig und bedeutsam ausgeführten Handgriffen. Max verstand, dass er zu verstehen hatte, wie Gerds gesamte Aufmerksamkeit gerade von der Kunst der Kaffeezubereitung in Anspruch genommen war. Endlich drehte Gerd sich um, stellte die beiden Tässchen auf den Tisch und bot Max die Zuckerdose an. „Es ist schwierig, weisst du, mit den Kindern. Ich werde selber zum Kind, ich werde sie bald lieben, ich werde sie bald vermissen, wenn ich sie nicht sehe. Und für sie bin ich schon jetzt ein gewichtiges Ereignis in ihrem kurzen Leben. Das ist es.“ „Natürlich, mein Lieber…“ Max streckte seinen Rücken und lehnte sich weit vor, stützte sich auf seine Unterarme, die er auf dem Tisch vor sich verschränkt hatte. „Ich weiss doch. Die Kinder sind nicht freiwillig dabei, in diesem Experiment. Aber das ist genau das Gute an dieser Geschichte, Gerd, genau das Gute!“ „Warum?“ Gerd duckte sich in seinem Stuhl; ihm war unwohl, wenn Max ihm die Welt erklärte, und doch konnte er nie weghören. „Ganz einfach. Für einmal musst du dich entscheiden. Und zwar früh. Gleich. Nicht wie im Fernsehen. Sondern jetzt. … Naja, spätestens in ein paar Wochen, jedenfalls. Für einmal kannst du nicht Tee trinken und die Dinge ihrem Lauf überlassen. Das kannst du ohnehin nicht, dieses scheinbare Geschehenlassen ist bloss unsere miese kleine Ausrede; doch das ist eine andere Diskussion. Du könntest wohl sie verlassen, wenn ihr euch fad werdet. Aber du spürst es ja, du könntest die Kinder niemals versetzen. Und bald schon werden sie auf dich zählen.“ Gerd rührte im Zuckerrückstand seiner weissen Espressotasse herum, und Max drehte sich zum Fenster, um zu rauchen. „Es ist gut, du hast recht. Ich brauche diesen Tritt in den Arsch.“

Ob

Ob die Sonne auch am nächsten Morgen wieder zu leuchten beginne. Ob die Haut auch dieses Mal den Schnitt vernarben werde. Ob mein Herz auch im Schlafe weiterschlage. Ob die Gedanken mir auch morgen noch gehorchen. Ob sie mich zur Begrüssung noch küssen wird. Ob das Geschriebene einmal noch dastehen wird.

Das frage ich mich, manchmal.

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nuusche

 

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