Naechtlichtaeglich

Freitag, 28. August 2009

da und dort.

Kopenhagen ist schön, das haben mir meine Erinnerungen gesagt. Es ist rotorange, die Sonne steht tief, aber scheint warm, und es gibt viele Menschen, die etwas Schönes im Sinne zu haben scheinen, und die radfahren.

Die Uhr des Hauptbahnhofs zeigt an, dass Mitternacht schon vor mehr als einer ganzen Stunde war. Sie zeigt drei senkrechte Striche hintereinander, nur durch einen Doppelpunkt getrennt. Die Leuchtreklamen rundherum erzählen von Unternehmen, die ich nicht kenne, die aber wie überall schöne, positive Namen und aufeinander abgestimmte Farben tragen.

Neben mir liegt ein Bett, vor mir steht eine Flasche Bier, die ich genau gleich auch irgendwo anders kaufen könnte, und unter meinen Fingern arbeitet der Computer, wie ich es ihm auftrage. Bin ich hier? Oder bin ich dort, wo ich immer bin? Kann ich woanders sein, wenn mein Mensch hier ist? Kann es sein, dass ich gar nie fortkomme, und nur meine Sinne, wenn ich genau hinfühle, mir etwas anderes vorgaukeln?

Ich sehe mich im Spiegel, der an die Wand geklebt ist, die hinter dem Schreibtisch steht. Das beweist und widerlegt alles.

Montag, 24. August 2009

angehen.

Natürlich hörte ich die Schreie, aber Plätze wie den, wo das war, die sieht man oft im Fernsehen; und da schreien sie dann auch, da gehen sie einander auch an die Kehle, da klingt es genau gleich. Aber man ist ja dann meist beim Bügeln, wenn es so schreit im Fernsehen, oder beim Abwasch. Und darum habe ich mich nicht umgedreht, darum bin ich weitergegangen. Ich habe nicht gedacht, dass mich das etwas angehen sollte.

Sonntag, 23. August 2009

ertrinken.

du arbeitest zuviel. – ich arbeite gerne. – ein Alkoholiker trank auch einmal gerne. – den Alkohol habe ich ja einigermassen im Griff. – kannst Du denn nicht ab und zu gerne arbeiten, und dann ab und zu gerne wieder etwas anderes tun? – nein, nur wenn ich nie ruhe, bleibt das Feuer und werde ich nicht zu Blei. ich hab’s versucht, aber es geht nicht; je weniger Aufgaben ich mir gebe, desto grösser scheinen sie mir, desto mühseliger, und desto mehr siegt dann meine Faulheit, und ich tue gar nichts. – aha, du bist also ein Fauler, der gegen das Ertrinken kämpft?

Samstag, 8. August 2009

wie wenn.

Hannes findet, dass es, wenn man Drogen kaufe, oder, wie er sagt, nicht-legale Substanzen erwerbe, doch recht ähnlich sei mit dem, was früher zu erleben gewesen sei, wenn man mit knapp achtzehn mal im Sexshop herumspaziert sei, die Hände in den Hosentaschen, natürlich zu den Hüftknochen hinaus gespreizt, so dass sie zwar versorgt waren, eine auch nur imaginäre Verbindung zwischen Händen und Schoss aber gleichwohl ganz ausgeschlossen war, und man dann, nachdem man beiläufig eine Videokassette oder ein A5-Magazin ergriffen hatte, bei der Kasse bezahlt hatte, als wäre man der Naturstammkunde dieses Etablissements überhaupt, dass es also, wenn man Drogen, oder eben unerlaubte Substanzen, kaufe, doch recht ähnlich sei. Man interessiere sich wie sonst nie für die Umwelt, und man werde paranoid, wie man es mit dem abartigsten Mittel, das gerade erhältlich sei, das Was-weiss-ich-noch-wie-das-hiess-ol, oder -yl, oder doch vielleicht -xylen, niemals werden könnte. Man fühle sich als der schändliche Mittelpunkt der Welt, auf den alle gucken und gaffen, und noch der normalste Griff nach dem Hut, ob er noch der Mode entsprechend auf dem Kopf aufsitze, werde schon bei der Ausführung zum Problem, zum Problematicum und zu einer Wissenschaft, wie er denn ausgeführt worden sei, und was das jetzt mit Bezug auf das konkrete Verhalten am fraglichen Ort auf sich haben könnte. Man integriere, so Hannes, den Rauschmittelfahnder gleich in sich, und man denke auch all dessen mögliche Gedanken, und man spüre dabei, wie er den Griff an den Hut, das Versorgen des Geldbeutels und den zwanghaft beiläufigen Blick über die Schulter auf den eigenen Rucksack in ihrer grundsätzlichen Sinnlosigkeit mit röntgenstrahlenhafter Klarheit analysiert und als Zusammenspiel der nervösen Reaktionen des zumindest resthaft sich seines getanen Unrechts bewussten Bürgers entlarvt. Was man auch immer tue, und vor allem: je mehr man überhaupt tue, desto mehr komme es einem vor, als sei allen anderen noch vor einem selber klar, dass man das Richtige vermieden und deshalb das Falsche getan habe. Genau wie damals, als man fürchtete, schon allein die Tatsache, dass die Videokassette mit den kleiderlosen Frauen und Männern sich nun in der Tasche befindet und dass das, zumindest im ersten Gespräch darüber, niemand aus dem persönlich bekannten Umfeld gutheissen oder auch nur gleichgültig übergehen würde, dass schon diese Tatsache einen zu den ungewöhnlichsten Verhaltensweisen zwang, nur um gewöhnlich zu wirken; genau wie damals, als fast alles verboten war, von dem man glaubte, dass es die Freiheit erst ausmache. – Du musst Dich verhalten, wie es sich gebührt, oder Du musst den Mut entwickeln, um danach ruhig die Strasse hinunter zu gehen, als wärst Du im Recht, als wärst Du der beste Mensch von allen (sagte hier Hannes’ Freund). Es ist wirklich nicht im geringsten konsequent und verständlich, wenn Du dauernd Situationen provozierst, in denen Du alle Ehre, wie sie sich heutzutage eben zusammensetzt und in Deinen Kreisen versteht, verlieren könntest, Du aber zugleich Dir selber nicht die Ehre erweisest, Dir einmal einzugestehen, dass Du mit dieser Ehre sehr gerne und ganz absichtlich auf ein gefährliches Spielfeld ziehst, und dass Du nicht wirklich den Verlust einberechnest: Wärest Du ehrlich, dann wärest Du ruhig. Und wenn es schief ginge, dann trügest Du die Folgen als einer, der sie gekannt, der sie gefürchtet, aber der sie in Kauf genommen hat. Dann wären die Folgen nichts Fürchterliches mehr, wenn sie denn kämen; und vor allem wären sie nichts mehr, das Dich davon abhielte, ruhig die Strasse hinunter zu gehen, denn wenn Du Dich wirklich für die Inkaufnahme entschieden hättest, dann gehörten sie als normales Problem, und nicht mehr als mit allen Mitteln zu verhindernder, letztlich aber tödlicher Ausnahmezustand zu Dir. – Das mag sein, nur verkennst Du das Spiel (sagte daraufhin Hannes): Sexshops reizen mich nicht, ich habe den grössten davon zuhause in meiner Breitbandleitung. Was mich zieht, ist die Berührung mit dem wirklichen Leben, jenseits von dem, was ich ohnehin schon habe. Ich weiss, dass es hart ist, das wirkliche Leben, das die anderen führen, und ich mache ja alles, damit meines nicht dahinkommt, aber je mehr ich das tue, desto mehr auch brauche ich diese Sicht aufs Brachiale, aufs unkontrolliert Flimmernde und Flackernde, aufs Steigen wie aufs Fallen. Ich könnte tausend Rauschmittelhändler haben, die mich auf diskretestem Weg versorgen, und doch wäre es gerade dies, was mir meinen Genuss verdärbe. Ich bin reich und abgesichert, und nichts kann mich gefährden – ausser, dass ich mich mit dieser Welt in zwanghafte Verbindung setze, die Sicherheit und Schutz nicht kennt. Wo sonst soll ich denn das Leben finden? – Hannes konnte sehr überzeugend sein, und noch mehr konnte man müde sein, wenn er erst einmal angefangen hatte, sich und seine Verhaltensweisen, geschweige denn seine Marotten, zu verteidigen (das sah Hannes’ Freund ein).

Dienstag, 18. April 2006

fliegen.

Niemand hat gestern meinem Mobiltelefon gesagt, dass es mich nicht wecken solle. Es konnte nichts dafür.

Ich fliege ja nicht wirklich häufig, und es fehlt mir gemeinhin auch nicht. Wohin sollte ich denn die ganze Zeit fliegen, warum in hochgezüchteten Räumen meine Zeit verleben. Und fast ist mir, als könnte dieser anstachelnde Zauber des blitzartigen Versetztseins sich verflüchtigen, flöge ich zu häufig. Wenn ich aber, wie gestern, im Zug aus Zürich hinausfahre, an abgestellten Fernzügen entlang und der Abendsonne entgegen, die sich daran macht, sich sanft auf die dunklen Rücken des Jura zu legen - und wenn ich dabei die Vielfalt der industriellen Niemandsländer, der Schrebergärten und der Leuchtbuchstaben im Schnelldurchlauf auf mich einwirken lasse, wenn dann ein noch gut erkennbares Flugzeug seine Nase steil in den hellen Himmel streckt, so wärmt mich doch der Wunsch, wieder einmal wegzufliegen. Und wenn es nur wäre, um mich durcheinander zu bringen. Und wenn es nur gälte, das Licht eines schönen Abends zu verlängern.

Vor der Haustüre dann, nachdem ich im Bahnhof beim Studium der Gesichter und des Verhaltens der Fans beider Gruppen nicht recht schlüssig geworden war, traf ich einen Fan (er trug ein rotweisses Halstuch, und seine weiter weg herumstehenden Freunde auch), der, im Türrahmen halb liegend verkeilt, zwar nicht schlief, aber sichtlich die Augen nicht mehr offenzuhalten vermochte. Ich sprach ihn leicht amüsiert an und machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich für den kurzen Moment, in dem ich die Türe öffnen und das Haus betreten würde, selber halten müsse, damit er nicht mit dem Kopf auf den Steinboden falle. Er stand sogleich auf, nachdem er mich blinzelnd gemustert hatte, und entschuldigte sich artig lallend. "Du musst dich doch nicht entschuldigen, ich will dir keine Umstände machen!" Ich konnte endlich mein Bedürfnis stillen: "Und, was habt ihr gemacht?" - "Hmmm, weiss nicht mehr." - "Was, du weisst nicht mehr, ob ihr den Cupfinal gewonnen oder verloren habt?" "Nein, weiss nicht mehr. Zweieins, glaube ich."- "Und für wen, das weisst du nicht mehr?" - Jetzt drehte er einen Kreis auf dem Gehsteig, um sein Gleichgewicht zu halten. "Nein... nein, wirklich nicht. ... Ist ja auch wursssss...t." Ich drehte mich in der Türe noch einmal um. "Recht hast du, es ist ganz gleichgültig. Nun denn, einen schönen Abend noch, und gute Heimkehr!" - "Ja, danke, und schlaf dann gut!"

Vielleicht reicht es, im Kopf kurz wegzufliegen.

Sonntag, 16. April 2006

fenster.

Ich hatte bestimmt kein Mitleid erwecken wollen. Gut, ich war nicht gerade allwetterfest gekleidet, denn ich trug bloss eine Windjacke, und der Regen fiel dicht und fast waagerecht. Aber ich war nicht weit von zuhause, die Jacke hielt das Nötige ab, und ich hatte mich in den Windschatten einer breitstämmigen Platane gelehnt, die für mich die gröbsten Regenböen auffing. So konnte ich verweilen, bis das unstete Wetter sich plötzlich wieder eines anderen besinnen würde. So konnte ich das Schauspiel aus seiner Mitte heraus verfolgen. Mit nassen, zugekniffenen Lidern schaute ich zum Himmel und auf den Fluss, auf dessen milchiggrüner Oberfläche der Wind wilde Regenbilder malte. An einem der Häuser auf der anderen Seite der Strasse, die ich mit meinem Blick ab und an abwechslungshalber streifte, fiel mir ein geöffnetes Fenster im Erdgeschoss auf. Der Raum dahinter war so dunkel wie der Himmel und der Tag. Ich musste immer wieder zu dem Fenster schauen, die Flügel bewegten sich im Wind und schlugen gegeneinander. Ihr klares Geräusch hob sich vom weichen Rauschen der Tropfen hart ab und erschreckte mich. Ich schaute lange auf den Fluss und auf die Regenschwaden – und auf einmal stellte ich mir vor, dass ich eingeladen werde, in diesen dunklen Raum, dass da eine südländische Grossfamilie wohne, dass man mich zu Tische bitte. Ich drehte mich erneut nach dem Fenster um und sah darin eine dünne, schwarzhaarige Frau in weiten Kleidern stehen. Sie lehnte weit heraus, blickte zu mir herüber, gestikulierte, und ich zuckte lächelnd ein paar Mal mit den Schultern und schielte bedeutungsvoll zum Himmel. Sie sagte ein paar Dinge, die ich nicht verstand, und sie drehte sich dabei auch immer wieder nach hinten, in den dunklen Raum, aus dem dumpf eine Männerstimme drang. "Sie können gerne hier kommen, wenn Sie mögen!" verstand ich nun. "Danke!" erwiderte ich reflexartig, blieb aber ruhig stehen. Sie hatte meinen Dank als Annahme aufgefasst (vielleicht hatte ich leicht genickt) und blickte mich erwartend an. Was kann man tun, wenn man sich etwas rein Phantastisches ausdenkt, und es passiert im nächsten Augenblick? Ich jedenfalls war nicht darauf vorbereitet, dass auch nur im Entferntesten ein Teil dieser Phantasie wahr werden könnte. "Ach, wissen Sie, es ist sicher bald vorüber, und ich bin ja gut geschützt. Aber Ihre Einladung ist sehr lieb, und ich werde gern kommen, wenn es noch übler wird." Sie fragte noch einmal nach, liess dann aber ab und verschwand in der Wohnung. Das Verschwinden habe ich erst später bemerkt, ich hatte mich davor schon abgewandt und wieder den Fluss fixiert. Der Regen fiel nach einer Weile endlich schwächer, und ich machte mich wieder auf den Weg. Die Frau war nicht mehr erschienen.

Freitag, 10. März 2006

amputation.

Er hat diese typischen, von blassrötlichen Schwellungen umrandeten Glubschaugen, die jene Kinder haben, denen man den Mangel an Lebensfähigkeit, ihre Unverträglichkeit mit der Welt, ansieht. Das macht ihn so eklig, es macht ihn so schwächlich und dümmlich. - Wie kannst du bloss so weit nach unten greifen, wie kannst du so primitiv werden? Was kümmert dich diese Kleinigkeit, das ist so niederträchtig. Du bist doch sonst so zurückhaltend in Meinung und Ausdruck. Warum musst du jetzt auf seinen Augenringen herumhacken? - Es tut mir leid, ich muss es tun, sonst würde ich mich in ihn verlieben.

Sonntag, 5. März 2006

danke.

Du erhellst meine Nacht.
Du erweichst meine Schritte.
Du schluckst allen Lärm.
Du besänftigst die Rauheit.
Du schmückst meine Haare.
Du erweckst meine Sinne.

Danke, Schnee.

Dienstag, 24. Januar 2006

betrachtungen im anzug.

Ich gehöre ja auch zu denen, die das eine sagen und dann doch das andere tun. Zum Beispiel hätte ich früher, wäre ich je explizit darauf angesprochen worden, mit flammender Begeisterung (verdeckt durch begeistert vorgetragene Abscheu) kundgetan, dass ich nie Anzüge tragen würde. Denn die Anzüge, und besonders die weissen Hemdkragen, die werden von den Bösen und den Ignoranten getragen. Anzüge sind natürlich tatsächlich ein zur Pflicht, ein zur Alltäglichkeit verkommener, übertriebener Luxus. Eine Hülle aus viel zu feinem Stoff, die vor körperlicher Arbeit zurückscheuen lässt und dabei zur Schau stellt, dass man es sich leisten kann, heikel zu sein. Getragen zu den verschiedensten Zwecken, doch immer mit der Absicht, ein bestimmtes (und doch nicht allzu bestimmbares) Bild abzugeben.

Nun, heute trage ich aus verschiedenen Gründen immer häufiger Anzüge, und zunächst muss ich zugeben, dass ich das mittlerweile auch gerne tue und es seine Besonderheit für mich im Übrigen weitgehend verloren hat. Ich komme nicht einmal umhin zu sagen, dass es sich bei den Anzugskombis mit Ausnahme der Krawatten um überaus bequeme und angenehm zu tragende Kleidungsstücke handelt. Natürlich bin ich noch nicht ganz weggerückt von meinen früheren Aversionen, und wenn ich Jeans trage, kommt die Abneigung auch wieder stärker hervor. Dann blicke ich immer noch ein wenig verächtlich auf die Herren im feinen Tuch, die sich wohl für etwas Besseres halten (besonders wenn sie, die doch die Harten spielen, rosafarbene Krawatten tragen).

Anzüge sind heikel, verzeihen keine Spritzer und keine légère Sitzhaltung; sie erinnern sich an alles und wollen mit aller Sorgfalt behandelt werden. Diese Arroganz, viel zu teuren Stoff auf der Strasse herumzutragen, kann mich heute noch nerven. Das aber, wie gesagt, nur dann, wenn ich billiggekleidet unterwegs bin (was ich immer noch oft bin). Wenn ich selber in der Schale stecke, dann halte ich mir immer entgegen, dass ich das schliesslich nicht zum Spass täte.

Ganz gewöhnt habe ich mich an die Kluft noch nicht. Man ist in diesem Zusammenhang vor vielerlei Probleme gestellt. Man bedarf längerer Zeit als sonst, um sich anzuziehen. Man will sich Mühe geben, zu dienstleistungserbringenden Menschen besonders freundlich zu sein, weil man befürchtet, dass zuvor viele Anzugträger besonders arrogant waren. Man kann sich die Nase auch dann nicht mit dem Ärmel abwischen, wenn gerade niemand zusieht (man würde das auf den feinen Stoffen leicht entdecken). Man muss gerade sitzen, weil der Anzug nur so bequem ist, nur so keine übermässigen Rümpfe zurückbehält, und weil einem alles andere einfach unpassend vorkäme. Man muss die Farbtöne sehr sorgfältig aufeinander abstimmen, weil die meisten heute wissen oder ahnen, dass die dominante Farbe der Krawattenstreifen sich in einer der Hemdfarben wiederfinden oder mit einer harmonieren sollte. Man kann sich zum Mittagessen nicht einfach auf einen Stein setzen, zum See hinausblicken und am Schluss die Finger an den Oberschenkeln abwischen. Anzüge verzeihen nicht, und wenn man sich nicht unzählige davon leisten kann, tut man gut daran, diese Regel (und viele weitere) zu respektieren. Anzüge verlangen überhaupt viel; zumal dann, wenn man sie nie ganz emotionslos betrachten konnte.

Zu alledem kommt nun noch das, was ich zu Beginn schon ansprach: Währenddem ich überzeugt bin, dass ein Mensch einheitlich (das heisst: gleich unter allen Umständen) sein und handeln sollte, und ich auch glaube, dass mir die Befolgung dieses Anspruches recht gut gelinge, merke ich doch (und kann es mir nicht verheimlichen), dass meine Kleider mich verändern. Ich werde nie das Gefühl los (und der sanfte Druck der Krawattenschlinge um meinen Hals hindert mich daran, dieses Gefühl auch bloss eine Sekunde zu vergessen), dass der Anzug mich fordert, dass ich besonderen Verhaltensregeln genügen müsse, wenn ich ihn trage.

Als halbe Ausrede mag hier dienen, dass mir die Welt tatsächlich auch anders begegnet, wenn ich (wie unsere östlichen Nachbarn gern sagen) g’sackelt daherschreite. Sie sind freundlicher, distanzierter, und manchmal auch formeller. Viele mögen sich beim Anblick der feinen Kleidung ob meines wohl noch immer jung scheinenden Gesichtes vielleicht wundern, doch befürchte ich dann, dass sie mir gerade deswegen besondere Künste oder Verdienste zuschreiben, wenn ein Junge schon so daherkommt. Oder, und das fürchte ich weitaus häufiger, dass sie mich für einen Aufschneider halten. Beides jedenfalls spornt mich nur an, mich besonnen und korrekt zu bewegen. Als müsste ich einen ganzen Staat repräsentieren, will ich die Erwartungsvollen nicht enttäuschen - und die düsteren Vermutungen der Argwöhnischen (die in mir vielleicht einen neureichen, der Biederkeit verfallenen Drogenhandelsgeschäftsleiter sehen) will ich gleichzeitig Lügen strafen.

Ohne dass ich das je gewollt hätte, noch guthiesse noch zu verteidigen vermöchte, verhalte ich mich in Anzügen (also recht oft) so, wie ich mir standesgemässes Verhalten aus meinem Blickwinkel heraus eben vorstelle. Und ja: Ich habe heute ein beinahe unverschämt hohes Trinkgeld gegeben, als könnte ich mir das leisten. Und wurde mir bewusst, einmal mehr auf billigste Weise ein liebes Lächeln gekauft zu haben. Dabei war ich wirklich guter Laune und freute mich über die angenehme Bedienung.

Montag, 23. Januar 2006

hut.tag.

Heute war wieder einmal ein Hut-Tag, ein ganz eindeutiger zudem. Es gibt Hut-Tage und andere Tage. Welcher der beiden Sorten ein bestimmter Tag angehört, hängt weder vom Wind noch vom sonstigen Wetter ab. Darüber bestimmt vielmehr das Gefühl, das mich zwischen Aufstehen und Anziehen erfüllt, wenn ich halbnackt und fröstelnd von der Toilette aufstehe und mir langsam gewahr werde, was am Vortag war, und was an diesem Tag zu erleben und erledigen sein wird. Wenn das Gefühl mir sagt, dass ich mein Gesicht weder um des Gestern noch um des Heute willen zeigen mag, dann überfällt es mich sogleich mit dem Wunsch, mich soweit möglich einzupacken. So werden Tage am frühen Morgen schon zu Hut-Tagen.

Lustig ist nur, dass ich an den Hut-Tagen meines Hutes wegen häufiger (und auch ein wenig intensiver) angesehen werde, wenn die Menschen in der Fussgängerzone an mir vorübergehen oder wenn ich im Zug einen freien Platz suche. Was ich mit dem Hut abwehren will, wird durch denselben erst recht angelockt. Doch das schreckt mich an Hut-Tagen gleichwohl nicht, da ich weiss, dass der Hut allein Auslöser für all die staunend musternden Blicke ist. Mag er mir zu gross sein, oder einfach schlecht sitzen. Die Blicke gelten nicht mir; sie wollen nichts von mir, ausser meinen Hut begucken. Jedenfalls bin ich überzeugt davon, solange ich den Hut trage.

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wer hat das angerichtet?
Die Ursache? Es ist nicht die Gier. Es ist der Glaube...
moccalover - 12. Mai, 22:39
dem gedanken folgen.
sobald ich versuche, alles in mehr oder minder stummes...
moccalover - 19. Nov, 22:36
unternehmensethik.
es ist doch nicht das unternehmen, das ethisch sein...
moccalover - 19. Nov, 22:34
und was das heisse, wenn...
und was das heisse, wenn jemand jemand sei.
moccalover - 19. Nov, 22:33
danke. wenn nur die umsetzung...
danke. wenn nur die umsetzung so einfach wie die erkenntnis...
moccalover - 19. Nov, 22:31
wer das eigentlich sei
wer das eigentlich sei
Reh Volution - 10. Nov, 07:32
da steckt viel wahrheit...
da steckt viel wahrheit drin.
me. (Gast) - 7. Nov, 21:10
danke!
danke!
moccalover - 6. Nov, 00:20
das verbrechen.
Das grösste, das ursprünglichste und verheerendste...
moccalover - 6. Nov, 00:05
nah und fern.
Leo drehte die Bierflasche langsam auf den Kopf, und...
moccalover - 6. Nov, 00:05
selbstbewusst.
selbstbewusstsein heisst nicht, sich überlegen zu fühlen nicht,...
moccalover - 6. Nov, 00:04
die vorstellung und das...
gibt es etwas Schöneres, als etwas unvermittelt zu...
moccalover - 6. Nov, 00:02
um zu
um zu
Reh Volution - 12. Okt, 08:12
um mich herum.
Das Leben. Ein Schlüssel, der mir Haus und Wohnung...
moccalover - 12. Okt, 00:43
Sandwichs.
Du hast jemand, der für dich Sandwichs streicht. Da...
moccalover - 2. Sep, 22:53

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