Glauben, Nutzen, Denken

Am Glauben und der Religion ist nicht zentral, was sie beinhalten, sondern was sie den Menschen ermöglichen, die daran glauben.

Etwas davon ist die Freiheit von jeglichem Begründungszwang. Je stärker bzw. universeller man glaubt, desto schneller füllen sich die Lücken, die einem beim Denken auffallen, die einen stören, verunsichern und ängstigen. Die Lücken, die einen verzweifeln lassen. Die einen aber auch antreiben und motivieren, weiterzugehen und mehr wissen und erfahren, erleben und erfühlen zu wollen.

Etwas Weiteres ist die Ordnung von Gut und Böse. Diese Ordnung ist ja eine rein Menschliche, und ausserhalb von unserer Wahrnehmung nicht existent (natürlich haben Tiere und Pflanzen auch Codes mit Differenzen, aber "gut" und "böse" im menschlichen Sinne ist das nicht). So, wie sie der Mensch in die Welt hineinträgt, kann diese Ordnung der Welt - wie jede andere menschliche Idee - nur unzulänglich entsprechen und sie für uns hilfreich erklären. Sie tut einen gar nicht so schlechten Dienst, aber sie ist nicht genau und kann nicht alle Probleme sinnvoll lösen. Wo die Frage nach Gut und Böse zu schwierige Probleme aufwirft, hilft der Rückgriff auf den Glauben und auf schematische Erklärungen bzw. Lösungen.

Wer glaubt, sieht einen Sinn, und glaubt nicht mehr, dass dieses Stadium zu erreichen dem Menschen unmöglich sei, dass dies schon allein durch den Begriff des Sinnes ausgeschlossen werde. Er kann sich endlich von der quälenden Vermutung lösen, dass die Sinnsuche vielleicht einfach eine paradoxale Schaltung im Gehirn ist, die dem Bewusstsein innewohnt und die den Menschen seit jeher zum Menschen machte - die man aber vielleicht nicht ändern kann.

Das alles kann sehr gute und sehr schlechte Folgen haben; Ignoranz und Intoleranz, Barmherzigkeit, gelebte Nächstenliebe und soziales Engagement.

Ob wir aber einer Religion im engeren Sinne und mit all ihren Engstirnigkeiten bedürfen, oder ob zum Beispiel für mich eine sachliche Ethik ausreicht, damit ich mich selber so gut verankern kann, um Gut und Böse einzuordnen und Maximen willkürlich zu setzen, so dass ich den Nutzen des Glaubens für das Gute auslösen kann, das frage ich mich.



P.S. Inspirieren kann ich mich immer hier. Die Leute vom Intelligent Design werfen der Wissenschaft vor, was gerade deren Kern ausmacht: Dass sie davon ausgeht, dass wir eigentlich nichts wissen und grundsätzlich alles möglich wäre. Ihre Erklärungen sind immer nur Zwischenergebnisse auf der Suche nach der genaueren Differenzierung und – gegebenenfalls – nach der Widerlegung alter Erklärungen. Genau dies, dass die (seriöse) Wissenschaft natürlich nie die Weltformel für alle Fragen finden wird, werfen die Evolutionsskeptiker aus dem evangelikalen Lager der Wissenschaft im Kern vor. Denn diese grundsätzliche Ratlosigkeit der Wissenschaft vor der Welt und die durch sie kontinuierlich erhöhte Komplexität der Welt, so die Vertreter des Intelligent Design, beweise ja gerade, dass eben doch ein intelligentes Wesen (das ist ja eigentlich schon fast Blasphemie!) die ganze Sache organisiere. Weil der Zufall als Regent von Erdentstehung und Evolution ein sehr bibelgetreues und in einem gewissen Sinne paternalistisches Glaubensverständnis – wie jenes der Evangelikalen – natürlich stört, muss die Evolutionstheorie weg. Intelligent Design aber führt letztlich zur Aufgabe jeglicher wissenschaftlicher Tätigkeit. Ein Wissenschaftler folgt wohl Schulen, Dogmen und Paradigmen, aber er strengt sich im besten Fall immer dazu an, auch die geliebtesten Hypothesen wieder zu verwerfen, wenn es denn sein muss. Ein Anhänger des Intelligent Design hingegen setzt sich verschiedene – und, je nach seiner Bibeltreue verschiedenartig konkrete – Axiome in die Welt, die er um keinen Preis loslassen will, und deren Widerlegung er in jeder Versuchsanordnung a priori verhindern wird. Es ist unfair und unfruchtbar, der Wissenschaft ihr eigenes Wesen vorzuwerfen, um so die Suprematie der Religion beweisen zu wollen.


P.S.P.S. Da können Sie sich noch so aalen, Herr West , ID ist keine Wissenschaft, weil diese Idee die Diskussion um die Frage nach Letztbegründungen abrupt abschneidet, anstatt sie prinzipiell offenzulassen. ID erklärt natürlich nicht, wo die Intelligenz herkommt, die das alles erschaffen haben soll. Und weil diese Frage von ID gar nicht geklärt oder wiederum in Frage gestellt werden soll, ist ID keine Wissenschaft, sondern Religion in der Wissenschaft Gewand.

Edit: Weiterführendes gibt's hier.

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