real eingebildet.

"Nahtoderfahrungen - ausserkörperliche Erfahrungen: Einbildung oder Realität? Gleich, auf diesem Sender!"

Einbildung oder Realität? Ich bitte Sie, meine Damen und Herren SendungsankündigerInnen! Wo soll denn da ein Unterschied begraben liegen, wie soll denn das eine ernstzunehmende Fragestellung sein?

Sprechen wir endlich über die Realität! Es ist doch so einfach. Es gibt eine Realität, es gibt etwas, sonst läsen Sie diese Zeilen hier nicht. Sonst sässen Sie nicht da vor Ihrem Schirm und spürten diese leichte Steifheit im Kreuz. Natürlich gibt es dafür weder Beweis noch Beleg; Sie sagen das ganz richtig: Ich führe Sie mit lebensnahen Beispielen gezielt in die selektiv wahrgenommene Irre, wie jedes amerikanisch angehauchte Sachbuch, das etwas auf sich hält. Aber, und das müssen Sie doch eingestehen, falls ich Unrecht hätte und ich selber, der Herr moccalover, Sie, diese Zeilen und die Welt hinter ihrem Nacken - wenn das alles nicht bestände, was genauso möglich ist, dann wäre doch auch diese Diskussion inexistent, und ihr Gegenstand erst recht höchst überflüssig, nichtig, gar nie dagewesen seiend. Wir würden jetzt nicht plaudern, wir könnten über nichts plaudern.

Darum, so schlage ich vor, gehen wir doch einfach freiwillig und ohne weitere Sicherheit davon aus, dass es da etwas gibt. In Ordnung? Und nun kommen wir zum zweiten Punkt. Was es da gibt, und wie es funktioniert, das wissen wir grundsätzlich überhaupt nicht. Es ist da, doch wir wissen nicht, was genau und wie genau. Und, da bin ich mir sicher, wir werden es nie auch nur im geringsten wissen. Wir sind Organismen im Etwas, die dieses Etwas in sich abbilden, ohne darüber wirklich etwas zu wissen, etwas wissen zu können. Die Organismen erfinden das Etwas neu; und dies allein auf der Grundlage von Sinneseindrücken, bei denen sie nach all der Menschheitsgeschichte endlich zur Überzeugung gekommen sind, dass sie weder lügen noch die Wahrheit sagen, sondern einfach unbekannte Störungen in bekannte Reize verwandeln.

Worin läge da noch der Sinn, über die Übereinstimmung von innerer (erkundbarer) und äusserer (per se unbekannter) Realität zu philosophieren, und wäre es nur in einem reisserisch aufgemachten Teaser eines in Wahrheit sachlichen, drögen und daher gemeinhin auch informativen Wissenschaftsfernsehformat? Finden wir uns doch lieber damit ab, und wenden wir uns der Realität zu, die wir uns in unseren Köpfen formen. Überprüfen wir sie nicht darauf, ob sie mit dem Äusseren, das zwar da ist, das wir indes niemals kennen werden, übereinstimme; fragen wir uns doch einfach, ob wir mit dieser unserer eigenen Realität etwas anfangen, ob wir darin Widersprüche und anschlussfähige Erkenntnisse finden, ob wir daraus vielleicht Lehren ziehen können.

Wir können doch, meine Damen und Herren SendungsankündigerInnen (und das müsste ungefähr Punkt drei sein), küssen, liebkosen, sorgen, vorkehren, einplanen und nachsehen; wir können doch sinnvoll handeln, ohne letzte Sicherheiten zu besitzen? Die Wahrnehmung vom Nahtod und die klägliche Erinnerung daran, sie sind doch Produkte unserer Innenwelt, die genausowenig zur Erkenntnis des Äusseren, des Spürbaren und doch Unbekannten, beitragen können wie unsere alltäglichsten Empfindungen. Warum sollte die Beschreibung dieses Erlebnisses wahrer sein als jene irgendeines Zeitungsständers? Oder unwahrer? Glauben Sie denn, dass dem oft beschriebenen Rückblick auf das eigene Leben, dem Schweben über dem eigenen Körper, dem gleissenden Licht in den Augen - dass dem allem tiefere Bedeutung für unser Leben zukomme als die Wahrnehmung, dass ein kranker Mensch auf der Strasse sitzt und friert?

Sie wollen mir Erkenntnis bringen über Leben und Tod; vielleicht auch bloss über die neusten Erforschungen der Gehirndurchleuchter. Ich weiss doch, ich weiss doch. Im Tod wird alles anders, und ich wäre der letzte, der behauptete, zu wissen, was kommt. Und ich weiss genauso, dass alles, was mich als Ich berührt, eng mit meinem Gehirn verknüpft ist und dass eine Nahtodhallzination neurologische Spuren erzeugt. Haben Sie wirklich gedacht, dass ich nicht wüsste, was ich alles träumen kann? Und was im Traum möglich ist, ist möglich im Sterben. Ich erwarte keine Hilfe von Ihnen, Sie stellen sich da Fragen, an denen Sie sich pulverisieren werden. Sie erwarten Klärung von aussen und sehen nicht, dass Sie ja doch nur von innen her schauen können.

Verstehen Sie denn noch immer nicht? Die Realität ist Einbildung, es ist alles in Ihrem Kopf; und das da draussen, das werden Sie und ich, das werden wir alle nie verstehen. Wir müssen uns ein willkürliches Weltkonzept wählen, als bewusste Wesen, und gäbe es ein besseres, so hätten wir es genommen.

Haben Sie denn das Gefühl, dass in Ihren doch unter allen Umständen letztlich kurzen Leben genügend Zeit und Übersicht vorhanden wäre, um die Wahrheit zu finden – einmal vorausgesetzt, das wäre überhaupt möglich? Packen Sie ein damit, und packen Sie an! Es gibt genügend zu tun, und genügend zu fragen, auch wenn man dabei nur nach innerer Übereinstimmung sucht. Und lassen Sie mich in Ruhe mit Geschichten, die mir die plötzlich im Unerklärlichen entdeckte, bahnbrechende und umfassende Wahrheit verheissen.
Dr. Wahllos (Gast) - 20. Nov, 00:25

"Unwissenheit ist besser als Spinnerei"

sagt auch Collin McGuinn Professor für Philosophie in seinem Buch
"Wie kommt der Geist in die Materie".
Ein Buchtipp zum Tema-
"Verstehen Sie denn noch immer nicht? Die Realität ist Einbildung..." > diese Zeilen sind mir zu sehr an Matrix angelehnt. Meinen Sie das ernst ?
Geht es denn um Wahrheitsfindung wie Sie mutmaßen oder vielleicht doch um Bewußtseinserweiterung ?
Bei diesem Thema muß klarer zwischen Körper/ physikalischer Welt
und Geist,
sowie der damit verbundenen Dimension differenziert werden .
Raum und Zeit sind die Grundkoordinaten sterblicher Existenz, diese Erkenntnis veranlaßt Herrn McGuinn unsere Sinnlichkeit mit den Erfahrungen im Raum zu verknüpfen und somit auch echte Bedrohungen als solche anzunehmen.
Diese Bedrohungen sind nur ein Teil von Realität der wir uns nicht entziehen können.
Ich gebe zu es gibt da Theorien wie beispielsweise den Universalmentalismus die einfach Spaß bringen.Das gedankliche Ausloten der Dimensionen einer solch rein geistigen Welt hat etwas unterhaltsames.
Unterm Strich glaube ich jedoch, daß es sehr viel gesünder ist, sich nicht in eine Spirale unendlicher Fragen ziehen zu lassen .
Und noch ein Zitat : "Der Geist ist kein Geschöpf des Raumes ", also nicht nicht mit unseren Sinnen faßbar...

moccalover - 20. Nov, 21:11

Neinnein, The Matrix ist es nicht, was ich propagieren möchte. Ein inhaltlich höchstens durchschnittlicher Film, wie ich finde. Das Problem ist dasselbe wie bei den meisten solchen Filmen, die aus Hollywood kommen: Ein spannendes Thema dient bloss als papierene Kulisse für denkfreies Spektakel, wird nicht reflektiert und so eigentlich missbraucht.

"Realität ist Einbildung" will im Grunde genau in die Gegenrichtung stossen. Was da draussen ist, wissen wir nicht, und es könnte auch die Matrix sein. Dafür spricht aber einfach nichts, andere Hypothesen waren bis anhin jedenfalls sicher hilfreicher. Was in unserem Kopf als Realität erscheint, ist ein Abbild dessen, das da draussen ist, und wir haben keine Ahnung, inwiefern die beiden Welten übereinstimmen. Man täuscht sich immer wieder, doch annäherungsweise verstanden, helfen uns die meisten Bilder, die wir von der Welt haben, doch recht gut weiter. "Realität ist Einbildung" will sagen, dass "the truth is out there" in einem gewissen Sinne zutrifft, dass diese Aussage aber nicht weiterführt, weil wir die Wahrheit ausserhalb unserer Subjektivität, meiner Meinung nach, nie finden werden, falls es sie geben sollte. Ich wünschte mir ja, dass die Menschen weniger dem nachhängen, was sie hinter den Schatten vermuten, was sie von den Fernen des Alls , von unsichtbaren Kräften und vom Nahtod erwarten. Ich wünschte mir, dass weniger Energie darauf verwandt würde, nach verborgenen, verschwörerisch unterdrückten, im Sittenverfall vergessenen, alles erklärenden Wahrheiten zu suchen. Und mehr darauf, etwas damit anzufangen mit dem, was ist. Diese Flucht möchte ich stoppen mit dem Ausspruch "Realität ist Einbildung". Es bringt uns nicht weiter, unsere Subjektivität überwinden zu wollen, beschäftigen wir uns mit der Realität in uns drinnen. Das soll nicht heissen, die Augen zu schliessen, nein ganz im Gegenteil, man soll sie öffnen und nach dem suchen, was man sehen kann, und nicht immer nach dem Verborgenen, nach dem Eigentlich-ganz-anders-aber-eben-viel-wahrer. Denn dieses ständige Misstrauen, der doppelbödige Zynismus, das scheinbare Wissen um die wahre Wahrheit, mit dem viele ihr Dasein erträglich zu machen versuchen, unterminiert diese Welt. Es ist ein Phänomen, das allzu häufig zu Passivität und Gleichgültigkeit führt.

Ich finde die Aussage "Unwissenheit ist besser als Spinnerei" wunderbar! So meinte ich es auch. Wir müssen nicht alles wissen, um etwas zu tun oder miteinander reden zu können. Und dies zuzugeben ist in der Tat besser, als unsere Lücken mit Spinnereien auszufüllen.

Auch die Neurologen übertreiben's in unserer Zeit leider häufig und versuchen, ihren nüchternen Messdaten jedes Mal transzendentale Bedeutung und den Charakter eines wesentlichen Beitrags zur Erklärung von Bewusstsein und Welt überhaupt zuzuschreiben. Auch wenn ich diese Forschung mit Interesse verfolge.

Es gibt keine Wahrheit, die wir je finden könnten, so geht es mir nicht um Wahrheitsfindung. Und doch gibt es etwas, das wir Wahrheit nennen, und auch wenn es das nicht gibt, erfüllt die Wahrheit doch sicher eine Funktion in unserem Denken. Ich plädiere letztlich nur für Wahrheitssuche im Sinne von Suche nach innerer Konsistenz und Suche nach der Wahrheit in den allernächsten Dingen und Menschen um uns herum, in den eigenen Gefühlen und Fakten und in denen der Menschen, die uns umgeben. Ich bin gierig nach Ideen, nach Geschichten und wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, und ich versuche, mir meine Realität so richtig wie möglich zusammenzuzimmern. Und ich versuche, darauf eine Ethik zu legen und danach zu handeln. Ich tue für mich selber sicher oft so, als wären die Dinge tatsächlich so, wie ich sie verstehe, doch ich möchte mich auch stets an meine Subjektivität erinnern. Es reicht mir aus, wenn ich mich so verhalte, als wären die Dinge so, wie ich meine. Ich kann jederzeit dazulernen. Ich brauche keine letzte Überzeugung, dass es so, und nicht anders ist.

Ja, der Geist ist unfassbar, da keine Kugel sich selber umfassen kann.

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