Frau, ansprechend

Heute ist mir widerfahren, was auf dieser Welt selten genug passiert. Eine Frau hat sich draussen vor dem Restaurant mir gegenüber an den Tisch gesetzt. Und sie hat bald begonnen, mit mir ein Gespräch zu führen. Jedenfalls, mich auszufragen, denn ich war zunächst noch in meine Arbeit versunken. Sie war ein bisschen extrovertiert - mitteilsam, weil sie gerade aus der schriftlichen Abschlussprüfung einer PR-Ausbildung kam. Als ihre Freundin mit den zwei Gläsern Prosecco von der Theke nach draussen kam, war der Spuk vorbei, ich war nicht mehr interessant, konnte mich noch ein bisschen konzentrieren, und kurz darauf ging ich.

Das erinnerte mich an einen Abend im letzten Sommer, als ich Ähnliches erlebte. Ich sass auch draussen, trank auch doppelten Espresso, nur damals schaute ich den Leuten nach, die sich zwischen den Tischen des Restaurants und den Marktständen mit Plüschtieren, Handmachschmuck und Jägerhüten drängten. Auf einmal stand eine hübsche Frau vor meinem Tisch und fragte etwas scheu, ob sie sich zu mir setzen dürfe. Sie war etwa acht Jahre älter als ich, und darum erstaunte mich das Ganze noch mehr als wegen des Umstands, dass ich fest glaubte, dass weiter hinter mir noch mindestens ein Tisch frei sein müsste. Frauen in ihrem Alter haben mit Männern aus meinem Alter nichts zu tun, sie haben entweder den Mann fürs Leben, das erste oder zweite Kind, oder sie haben das gerade hinter sich und suchen sich selber - weit weg von Leuten wie mir.

Ich hatte kaum zwei Zeitungsartikel überflogen (das Zeitunglesen schien mir unverfänglicher, als wenn sie mich beim Studium der Passanten beobachtet hätte), da sprach sie mich mit einem fragenden Lächeln an, und es entwickelte sich ein wunderbares Gespräch über den Markt, die Demonstration, die dahinter durchzog und sie am Weitergehen hinderte, und über das heutige Gemüseangebot in den verschiedenen Läden (Steinpilze kriegen Sie nur noch bei Globus, alles andere ist leergekauft). Fast vergass ich mein Erstaunen über diese für mich nicht ganz einsichtige Situation. Man denkt ja schnell daran, dass man eine oder einen von diesen übermässig leutseeligen, aufdringlichen Menschen getroffen hat, die hinterher nicht einmal wüssten, wie man ausgesehen hat. Oder die in völligem Aussetzen jeglicher sozialer Hemmung sich an einen klammern, ohne dass man sich einander schon vorgestellt hätte. Diese Dame aber war ein Genuss; sie war gebildet, stellte interessante Fragen und blieb doch äusserst diskret und zurückhaltend. Dazu konnte ich bei einer gelegentlichen Betrachtung auch feststellen, dass ich sie sofort attraktiv gefunden hätte. Vielleicht hatte ich eine Vorahnung und erwog es auch deshalb nicht.

Nachdem sie ihren Double-latte-qualsiasi in kleinen Schlücken immer zwischen fünf Sätzen ausgetrunken hatte, traf sie erste Vorkehrungen zum Aufbruch, blickte zur Strasse hinüber, auf der vor kurzem noch Fahnen getragen und Parolen durchs Megaphon gepeitscht wurden, und meinte: "Nun ist die Strasse wieder frei, und ich muss leider noch weiter. Aber es war sehr angenehm, mit Ihnen zu schwatzen! Haben Sie vielen Dank dafür!" - Ich nickte sogleich mehrmals heftig und stimmte ihr zu, wusste aber nicht recht, was ich überhaupt von alledem halten sollte: "Ja, klar doch, ich hab's auch genossen! ..." Der Mund blieb mir noch eine Weile offen. Sie sagte: "Ich wollte Ihnen nur noch sagen, dass ich nicht ganz zufälligerweise zu Ihnen gesessen bin!" Oh, was verbarg sich denn hinter den scheuen Augen? - "Ich bin Psychologin und mache dieses Wochenende eine Weiterbildung für die Therapie von Menschen mit Sozialängsten. Und dazu gehörte, dass jede Frau von uns die Aufgabe erhielt, sich über Mittag in der Stadt zu einem jungen, hübschen - " da wurde ich ein wenig verlegen - "Herren an den Tisch zu setzen und mit ihm ein längeres Gespräch zu führen." ... "Verstehen Sie, ich habe das einfach gemacht, um meine eigenen Sozialängste kennenzulernen und besser zu verstehen, wie ich damit umgehen würde, wenn ich mich vor Angst nicht einmal auf die Strasse traute!" Ich verstand.

Einen besseren Grund hätte ich mir allerdings gerne gewünscht. Ich signalisierte ihr durch Interesse und ein breites Schmunzeln, dass ich gerne mitspielte und ihr die versteckte Kamera nicht übelnahm. Bald darauf liess sie mich an meinem Tisch zurück und ging in das Kursgebäude am Ende des Platzes.
RunningCouchPotatoe - 13. Aug, 02:08

irgendwie

macht der text doch etwas traurig, die einzigen menschen, die sich zu einem setzen,
warten entweder auf andere, oder probieren irgendwas psychologisches
aus.

hoffe, du wirst irgendwann eine frau kennenlernen, die mehr, als nur studien betreiben will :)

moccalover - 13. Aug, 02:24

danke, so schlimm, wie's hier scheint, ist es ja nicht ganz. Frauen sind halt meist ein bisschen weniger initiativ, sie müssen sich auch mehr vorkehren, dass sich ihnen niemand anhängt, von dem sie das nicht möchten. Und allgemein beginnen wir viel zu selten Gespräche. Das macht mich tatsächlich manchmal traurig. Man ist sehr allein, so grundsätzlich, wenn man durch die Strassen geht. Aber ich führe ja auch mit den skurrilen Menschen gerne Gespräche, also mit denen, die ich als etwas unangenehm beschrieb. Und nicht allzu selten gehe ich auch auf die Menschen zu, kommt halt auf die Stimmung an.
moccalover - 13. Aug, 02:27

P.S. Nachdem ich jetzt gerade erst Deinen letzten Beitrag gelesen habe, schätze ich Deinen Kommentar besonders! Ich hoffe, dass ich Deine Auszeit nicht noch mehr belastet habe...
RunningCouchPotatoe - 13. Aug, 12:45

Ich konnte mich irgendwie in deine Texte wiederfinden

und, nein, du hast meine Auszeit nicht belastet - es ist erstaunlich, wie die
letzte Zeit gewirkt hat, ganz besonders hilft es mir auch, das ich ihn nicht
anrufe - das würde alles nur wieder verschlimmern.

Kommt wirklich auf die Stimmung an, manchmal trifft man jemanden
und man merkt sofort, das man miteinander reden kann, das kommt
nicht häufig vor, leider.

Aber ich mag es auch sehr, alleine im Cafe zu sitzen und die Menschen
zu beobachten.

Denn - mal schweigen ist doch auch recht schön :)
moccalover - 13. Aug, 15:20

Ja, schweigen ist sogar wunderschön! Ich meine jetzt nicht das sprichwörtlich betretene Schweigen zwischen Menschen, die sich nicht so gut kennen, sondern das wissende von Menschen, die zusammen schweigen können und sich dabei spüren. Und auch das Schweigen, das man behutsam mit sich trägt, wenn man alleine durch Strassen oder Parks schlendert, das ist ein Schatz, der vieles birgt. Wenn Du Dich in meinen Texten wiederfinden kannst, ist das für mich ein Riesenlob, danke!

Nicht anzurufen ist für Dich möglicherweise schwierig, Du musst ja vielleicht einer Art von Reflex widerstehen, aber es befreit Dich - so hoff'ich.
Oksana - 13. Aug, 02:33

Ich weiss zu wenig über dich, um schlaue Ratschläge zu geben. Du weisst aber, dass sich seinen Sozialängsten zu stellen, einfacher ist, als man denkt, oder?

moccalover - 13. Aug, 02:43

Naja, ich würde mich ja nicht als pathologisch soziophob bezeichnen, aber ich hab so Tendenzen. Und Du hast vollkommen recht, ich habe schon oft gemerkt, dass 'just do it' wirklich das beste Motto ist. Einfach einen Schritt machen, und dann schauen, weil so schwierig ist es nicht, wenn man es nur tut. Ich denke aber, es gibt Menschen, denen fällt das wirklich, wirklich sehr schwer, so wie es solche gibt, die sich vor Spinnen nicht nur ein wenig ekeln wie ich oder Sie vielleicht. Und ich kann mich in diese Menschen gut einfühlen.
moccalover - 13. Aug, 02:45

P.S. Nur so: Wieso kann ich bei Deinem Namen keinen Link sehen, bist Du diese Oksana?
Oksana - 13. Aug, 02:58

Ja bin ich. Wie das mit dem Link funktionieren sollte, habe ich keine Ahnung. Das Technische überlasse ich meinem Gastgeber. Du kommentierst mich, ich kommentiere dich, so einfach ist es:-).

moccalover - 13. Aug, 03:04

Wenn Ihr zu zweit bloggt, weiss ich auch nicht, wie das gehen soll. Ist ja nicht wichtig. Nun ist glücklicherweise alles klar, ich weiss jetzt, wo Dein Haus wohnt; und gute Nacht!

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