mittendrin

Manche wagen sich noch im T-Shirt auf die Strasse. Manche haben sich schon in warme Tücher gehüllt. Die Strassenplätze der Restaurants sind gut besetzt. Niemand weiss, ob das der letzte warme Abend sein wird. Oranges Sonnenlicht schiesst waagerecht durch die Gassen und prallt auf Wände, Fensterglas und Werbeschilder. Ich war im Photogeschäft, im Tabak- und im Plattenladen. Habe fünf Filme und meine Adresse hinterlassen, habe beteuert, dass ich die schwarzumrandeten Aufschriften nicht mehr wahrnehme, habe ein paar Megabytes warmer Klänge gekauft. Nun schlecke ich Reste aus Satz und kaffeegetränktem Zucker vom Löffel.

Ich sitze nicht alleine am Tisch, er war vor mir schon besetzt. Die Frau ist aufgebracht, lacht aber viel und gequält, um das zu verbergen. Seine Stimme verstehe ich nicht, sie ist tief und geht im Verkehrslärm auf. Sie erzählt von einem, der nicht da ist, der vielleicht nicht mehr da sein wird für sie. Der war zusammengezuckt und hatte schwer traurig, schwer beleidigt betont, dass sie genau wisse, dass er sich in keine Ecke drängen lasse. Dabei hatte sie bloss wissen wollen, was sie denn hätten; ob vielleicht eine Affäre, und was er unter sowas genau verstehe. Das war fällig, und zumutbar, schliesslich sind sie beide bald vierzig, und das läuft nun seit zwei Jahren schon in der Weise. Überhaupt kann sie sein Verdrängen nicht mehr ertragen, fast jeden Abend haut er sich den Kopf weg.

Ich folge noch ein wenig; es kostet die Frau viel Kraft, sich von ihm abzuschichten. Sie versucht es, indem sie vorgibt, längst schon so weit zu sein. Dann verliere ich mich wieder, weil mich das geheimnisvoll abendbeleuchtete Menschengewühl fesselt, das sich in rhythmischer Periodik unter der Ampel versammelt und über die Strasse fliesst. Ich sitze verdattert in dieser Überfülle von Beziehungen, Bewegungen, Lauten, Farben und Zeichen, und für mich selber werde ich hierin eine Weile lang ein einziger körperloser Punkt.
_sophie_ - 11. Okt, 23:21

"Oranges Sonnenlicht schiesst waagerecht durch die Gassen und prallt auf Wände, Fensterglas und Werbeschilder."

So was lässt mein Herz höher schlagen, so was lässt mich lächeln und einen Moment die Luft anhalten, die Augen schließen und tief eintauchen in die Worte und ihre Bilder. Danke.

TheSource - 12. Okt, 01:15

Schiessendes Licht

wiederum behagt mir gar nicht ;-)
moccalover - 12. Okt, 13:20

@sophie: gerne! danke. Was gäbe es schöneres, als jemand zum Lächeln zu bringen...!

@thesource: Auchdanke! Stimmt schon, klingt ein wenig stark nach Lichtschwertern; und mit der Gemeinde habe ich nichts am Käppi.
sravana - 12. Okt, 11:19

In der Stadt voller Menschenfluten, wird mir manchmal richtig unwohl, obschon ich in der Stadt aufgewachsen bin.
So mancher hetzt vorbei, der Lärm dröhnt mir in den Ohren. Unweigerlich versinke auch ich ins Nachdenken. Jeder Mensch auf dieser Welt trägt seine Gedanken, seine Gefühle und sein Schicksal mit sich, in sich. Dann fühle ich mich jeweils wie eine Ameise auf der Reise.

Deine Feierabendgeschichte ist so lebendig, dass ich in ihr nachfühlen konnte.

PS. habe ich das mit dem Bild posten, wohl richtig verstanden? Es ist nun auf der HP von lexe.

moccalover - 12. Okt, 13:18

Um in der Stadt zu überleben, braucht man viel innere Ruhe. Schwer fällt mir manchmal, dass ich so mittendrin wohne, dass ich vom Sonntag nicht viel mitbekomme (es ist fast gleich laut und geschäftig). Ich merke häufig, wie ich mich mitreissen lasse von der Betriebsamkeit, was manchmal anregend und bisweilen belastend ist. Zum Glück gibt's die Berge...Danke für das Bild! Zuhause habe ich immer noch das Eis als Hintergrund, hier im neuen Büro nehme ich jetzt den Pass. Und erst jetzt habe ich Hundchen auf dem Bild entdeckt (das ist fast wie: Wo ist Walter?)
burnston - 12. Okt, 21:57

Gefällt mir gut, die Szenerie. Sehr gut.

moccalover - 16. Okt, 20:47

danke :-)
RunningCouchPotatoe - 14. Okt, 21:26

Ich fühl mich echt verbunden

wenn ich deine Texte lese...ich habe auch schon manches Beziehungsdrama miterlebt, anonym als Person erlebe ich wie andere anonyme Menschen in der Öffentlichkeit ihre Beziehung preisgeben...

Ich hoffe dennoch noch auf einen oder mehr sonnige Tage in diesem Jahr, der Winter kann auch sehr schön sonnig sein :)

moccalover - 16. Okt, 20:59

ja, wir erleben viele Dramen. Ein paar von ihnen bei uns selber, ein paar in nächster Nähe, und manchmal auch Bruchstücke einer Geschichte, deren Anfang und Fortgang wir nur erraten können. Wie bei den Handygesprächen, die man in der Öffentlichkeit bisweilen mitverfolgen kann und von deren blosser Kenntnisnahme manche sich belästigt fühlen (ich find's stattdessen interessant). Es hat auch keinen Sinn, das Private in der Öffentlichkeit allzu stark auszuklammern. In Zeiten, denen die Verhältnisse übersichtlicher waren, war etwas anderes auch gar nicht möglich. Und wenn wir 'in public' nur den Öffentlichkeitsmenschen vorspielen, werden wir nur anonymer und herzloser.

Die Sonne in den sonnigen Wintertexten dürfte ja dann auch noch mehr im Kerngehalt und weniger in der Umgebung liegen, damit sie richtig wärmen können, die Texte. Die Sonne wird auch diesen Winter ab und an den Hochnebel durchbrechen, oder ich ihn auf dem Weg in die höheren Lagen. Ich bin also so gespannt wie du!

Trackback URL:
https://kieselsteine.twoday.net/stories/1050480/modTrackback

status checken

Du bist nicht angemeldet.

nuusche

 

erinnern

Oktober 2005
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 3 
 5 
 7 
 8 
10
12
13
14
15
17
20
21
22
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 
 
 

beobachten

wer hat das angerichtet?
Die Ursache? Es ist nicht die Gier. Es ist der Glaube...
moccalover - 12. Mai, 22:39
dem gedanken folgen.
sobald ich versuche, alles in mehr oder minder stummes...
moccalover - 19. Nov, 22:36
unternehmensethik.
es ist doch nicht das unternehmen, das ethisch sein...
moccalover - 19. Nov, 22:34
und was das heisse, wenn...
und was das heisse, wenn jemand jemand sei.
moccalover - 19. Nov, 22:33
danke. wenn nur die umsetzung...
danke. wenn nur die umsetzung so einfach wie die erkenntnis...
moccalover - 19. Nov, 22:31
wer das eigentlich sei
wer das eigentlich sei
Reh Volution - 10. Nov, 07:32
da steckt viel wahrheit...
da steckt viel wahrheit drin.
me. (Gast) - 7. Nov, 21:10
danke!
danke!
moccalover - 6. Nov, 00:20
das verbrechen.
Das grösste, das ursprünglichste und verheerendste...
moccalover - 6. Nov, 00:05
nah und fern.
Leo drehte die Bierflasche langsam auf den Kopf, und...
moccalover - 6. Nov, 00:05
selbstbewusst.
selbstbewusstsein heisst nicht, sich überlegen zu fühlen nicht,...
moccalover - 6. Nov, 00:04
die vorstellung und das...
gibt es etwas Schöneres, als etwas unvermittelt zu...
moccalover - 6. Nov, 00:02
um zu
um zu
Reh Volution - 12. Okt, 08:12
um mich herum.
Das Leben. Ein Schlüssel, der mir Haus und Wohnung...
moccalover - 12. Okt, 00:43
Sandwichs.
Du hast jemand, der für dich Sandwichs streicht. Da...
moccalover - 2. Sep, 22:53

blogleben

Online seit 6876 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

ehrerweisen


Bilder im Kopf
Faul
Grundlegendes
kieselsteingeraeusche
Kreativ
Naechtlichtaeglich
Offene Fragen
oTon
Personen
Politik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren