Montag, 29. August 2005

Stampfenbachplatz

Stampfenbachplatz, dröhnt die Frauenstimme metallisch durch den überforderten Lautsprecher. Wie immer in dieser Stadt, hebt sich die Stimme der Haltestellenansagerin am Ende des Ortsnamens leicht an und klingt so ein wenig hochnäsig. Kurz vor der Haltestelle bremst das Tram abrupt seine ohnehin schleppende Fahrt über die wegen den Bauarbeiten ausgehöhlten Schienen. Nun ist auch das bisschen Fahrtwind weg. Die kleinen Kippfenster sind geöffnet, aber es kommt kein Luftzug herein, weil es keinen Luftzug gibt. Nur die Hitze schleicht von den Metallplatten und den Schienen am Boden langsam durch die Fensterspalten. Drinnen drückt die Luft auf meinen Kopf, als wäre der Raum ein Überdruckbehälter. Meine Sinne sind verlangsamt, gelähmt; fiebrig blicke ich hin und her, warte auf die Weiterfahrt.

Ich bin zu Gast in Zürich, der einzigen Stadt der Schweiz, die sich dem Grundsatz nach unter den Weltstädten einreiht. Ich bin auf dem Weg zu einem langen Abend, alleine mit einem alten Freund. Wir werden die Nacht in der Küche versitzen, und ich werde beim Gespräch ab und an am Weinglas nippen, durch den Hof hindurch zu den noch beleuchteten Wohnungen und dann höher, zum Himmel blicken, die Skybeamer sehen und fühlen, dass es in dieser Stadt alles gibt, dass nichts stillsteht und alles flackert, und dass darum mein zweisamer Aufenthalt hier veredelt wird. Weil ich durch meine Nähe zu alledem teilhabe am Grossen der Welt, ganz gleichgültig, welchen Teil dieser lebenden Nachtstadt ich verkörpere.

Offenbar haben sich die Autos im Stau verkeilt, und die Schienen vor uns bleiben besetzt. „Muflifrau, Muflifrau!“ – Ich kann den Kleinen hinter mir nicht sehen, aber er muss der Stimme nach ungefähr drei sein. Offenbar tippt er mit dem Finger gegen die Scheibe und zeigt nach draussen. Sein Vater – auch das erahne ich an der vertrauten und eingespielten Stimmlage - korrigiert ihn: „Muslimfrau heisst das. Muslimfrau! Mit ESS!“ Ich versteife mich ein wenig, wie ich das immer tue, wenn ich angestrengt und doch unauffällig Gespräche mitzuhorchen versuche. „Da, Muslimfrau“, ruft der Bub wieder. „Nein, das ist keine Muslimfrau. Schau, Luca, das ist ein Hut, kein Kopftuch! … Warte mal, da drüben, da ist eine Muslimfrau. Da, sie überquert gerade den Fussgängerstreifen.“ – „Da auch Muslimfrau, und da auch!“ „Ja, genau, jetzt hast du’s erfasst. … Da auch, und da, und da. Hmm, überall…“.

Das Tram fährt endlich an, erreicht bald die Haltestelle und öffnet seine Türen. Draussen ist die Luft fast genauso heiss. Aber ein bisschen weniger stickig, immerhin.

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nuusche

 

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