nicht gebeichtet
„Du, sag mal, warum ist das mit dir und Melanie nichts geworden?“ Max und Gerd sassen schon lange am Küchentisch, und der Gusseisentopf vom Risotto stand noch immer da. Man konnte schon erkennen, wie der sämige Saft auf der Oberfläche der Reisreste im Topf eine gelbe Kruste bildete. Der Verkehrslärm war unbemerkt verschwunden, wie lange davor jedes Tageslicht. Wein-, Wasser- und Whiskygläser standen herum, und Max schenkte sich zwei Daumen dick vom Schottischen nach, sobald er sich vom ersten Schrecken erholt hatte. Er tunkte den rechten Zeigefinger ein paar Mal ins Wasser und tropfte ihn über dem Schnaps wieder ab. Er konzentrierte sich sichtlich und schaute Gerd nicht an. Endlich blickte er auf.
Max nahm einen tiefen Schluck und kniff dabei seine Augen zusammen. „Es war alles wunderbar. Sie war in meinem Wahlworkshop, da hat es ja auch Juristen. Und eben Juristinnen. Wir hatten uns früher einmal auf einer grossen Examensparty kennengelernt, danach aber haben wir einander nicht mehr getroffen. Vom ersten Tag an war sie viel in meiner Nähe, das genoss ich wie ein gestreichelter Kater; schon bald gingen wir im Freundeskreis zusammen aus. So dauerte es vor sich hin, bis nach drei Monaten der Workshop zuende sein sollte. Wir waren natürlich beide in Sorge darüber, was kommen würde, wenn die natürliche Zusammenkunft jeden Morgen an der Uni als Wurzel unseres Kontaktes wegfallen würde. Sie beschloss offenbar, unser Beziehungsfragment, das noch nie selbständig, ohne äusseren Anlass bestanden hatte, zu zementieren. Ein paar Tage nach dem letzten Kurs lud sie mich an einem Samstagabend zu sich ein, hatte Kerzen aufgestellt und meisterhaft gekocht. Die Wohnung war aufgeräumt, duftete fein und war voller Kleinigkeiten, die ihren Geschmack abbildeten. Wir assen die vier Gänge und sprachen über den Kurs. Nach dem Kaffee tranken wir die zweite Flasche Wein, und danach musste ich zur Toilette. Ich blickte in den Spiegel und bemerkte beim Anblick meiner verschobenen Augen sogleich, dass ich viel betrunkener war, als ich gedacht hätte. Ich wusch meine Hände und trat in den Korridor, zog meine Schuhe an und verabschiedete mich unter dem Vorwand, rasch kontrollieren zu gehen, ob mein Fahrrad gehörig abgeschlossen sei. Ich konnte nicht, es ging nicht. Ich fuhr davon und noch lange umher; Stunden später kam ich zuhause an. Ich habe ihr nie geantwortet, und sie hat es dann auch aufgegeben.“
Gerd lehnte sich noch weiter zurück und atmete lange ein. Dabei hob er seinen Kopf und blickte Max mit beinahe geschlossenen Augen ungläubig an. „Ich glaube dir kein Wort, mein Lieber; du schenkst dir Whisky für Whisky nach und plapperst in höchst geschmückten Details, als hättest du Wahrheitsserum gefressen. Aber eigentlich willst du mich verarschen, du bist doch nicht wegen dem Wein von da abgehauen? Ich kenne dich, du bist kein Gentleman, du verkaufst dich nur immer so.“ – „Das hab ich auch nicht behauptet. Aber ich hatte Angst, und mit dem Quantum Wein konnte ich mich nicht mehr kontrollieren. Ich flüchtete rein präventiv.“
Max drückte seine Zigarette aus und griff gleich wieder zum Tabakbeutel. Gerd sah durch den feinen Hemdstoff hindurch, dass Max’ ganzer Oberkörper fein zitterte, als er den Tabak ins gummierte Blättchen krümelte. „Ich sagte dir ja – ich lernte Melanie eigentlich auf dieser Party kennen. Die war in einer Landvilla am Bielersee, die Hausherren waren derweil in ihrer Landvilla in Andalusien, und vielleicht ging darum alles so wild. Alle tranken dauernd, und bald waren wir sehr ausgelassen. Ich wurde auch mehrmals in den Pool geschmissen, aber das machte mir nichts. Jeder sprach nun mit jedem, alle tanzten, und dass wir immerzu lachten, fiel uns gar nicht mehr auf. In solchen Nächten kann ich mich nie entscheiden, aufzuhören. Irgendeinmal sass ich neben Melanie am Pool. Melanie, die mir zuvor beim Tanzen ins Ohr geschrieen hatte, dass sie Melanie heisse und ich mich süss bewege. Niemand sonst war da, und wir teilten uns eine Flasche Wein. Ich hörte, wie wir beide mit schweren Zungen lallten. Sie war sehr zutraulich geworden und blickte immer wieder lange mit verklärtem Blick von unten in mein Gesicht. Damals war ich mit Fabienne zusammen, und darum verhielt ich mich trotz allem ein wenig steif. Ich wollte sie aber nicht abweisen, weil ihre Nähe mir gefiel. ‚Wie gehst du morgen nachhause?’ – ‚Ich denke, ich werde den ersten Zug nehmen.’ – ‚Wollen wir zusammen in die Stadt fahren… ich meine, wir könnten doch noch was machen zusammen … so sexuell oder so.’ Ich versuchte ihr beizubringen, dass das nicht gehe; aber sie wollte mit Hinweis auf ihren eigenen Freund lange nicht akzeptieren, dass da etwas problematisch sein solle. Schliesslich war es gleichgültig, da wir beide zu müde waren. Ihre Hand war in der Zwischenzeit auf meinem Oberschenkel immer weiter nach oben und innen gerückt, und dann tauschten wir ein paar unbeholfene Küsse aus. ‚Gehen wir schlafen?’, fragte sie nach einem Moment und wir gingen nach oben. Im Kinderzimmer war noch eine Matratze frei. Melanie legte sich hin und fiel augenblicklich in einen tiefen Schlaf. Ich legte mich neben sie und bedeckte uns beide mit einem offenen Schlafsack. Doch ich konnte nicht schlafen; längst wäre ich bereit gewesen, meine Vorsätze fallen zu lassen. So kuschelte ich mich an sie und legte meine Beine über ihre. Ihr Körper gab leicht und geschmeidig nach, doch sie schlief unbeirrt weiter.“
„Ja und?“ fragte Gerd, denn Max schwieg auf einmal wieder und starrte traurig auf sein Glas. „Nun bin ich bald so betrunken wie damals, da spielt es ja keine Rolle mehr… Ich spürte nur noch den Augenblick, mir war egal, was ausserhalb von diesem noch gewesen sein oder werden könnte. Ich streichelte sie zuerst vorsichtig, dann immer fester und bald überall; ich habe ihre Brüste, ihre Beine und ihre Unterhose gestreichelt und mich dabei an sie geschmiegt. Das ging lange so, und manchmal seufzte sie sanft und drehte sich ein wenig. Ich habe immer wieder versucht, sie zu küssen, doch sie ist nicht aufgewacht. Am nächsten Morgen sprachen wir nicht mehr viel zusammen, ich mied ihre Nähe und war elektrisiert. Ich war nicht nur schrecklich verkatert und übernächtigt, ich wurde mir langsam bewusst, was ich getrieben hatte. Und ich war sogleich überzeugt, dass sie es doch bemerkt und empört weitererzählt hatte. Wir wurden auf demselben Rücksitz nachhause gefahren und haben kein einziges Wort ausgetauscht. Ich fühlte mich dreckig und klein, stinkend und eklig. Am Schluss küssten wir uns zweimal auf die Wangen, als sie ausstieg, wünschten uns eine gute Zeit. Immer wieder erwartete ich in den nächsten Tagen, dass diskrete Polizisten mich von der Arbeit zur ersten Einvernahme abholen würden. Von Anfang an hatte ich daran gedacht, diese Schuldgefühle, die Angst und die Scham vor mir selber durch eine Beichte bei ihr zu lindern. Aber weil ich mir nicht sicher war, ob sie vielleicht doch gar nichts wusste, war ich zu feige und hoffte bloss, dass nichts passieren würde. Das Verdrängen ging von Tag zu Tag besser. Ich wartete ab, und nichts passierte. Bis wir uns im Workshop trafen. Ich hätte im ersten Moment schon weglaufen müssen.“
Max nahm einen tiefen Schluck und kniff dabei seine Augen zusammen. „Es war alles wunderbar. Sie war in meinem Wahlworkshop, da hat es ja auch Juristen. Und eben Juristinnen. Wir hatten uns früher einmal auf einer grossen Examensparty kennengelernt, danach aber haben wir einander nicht mehr getroffen. Vom ersten Tag an war sie viel in meiner Nähe, das genoss ich wie ein gestreichelter Kater; schon bald gingen wir im Freundeskreis zusammen aus. So dauerte es vor sich hin, bis nach drei Monaten der Workshop zuende sein sollte. Wir waren natürlich beide in Sorge darüber, was kommen würde, wenn die natürliche Zusammenkunft jeden Morgen an der Uni als Wurzel unseres Kontaktes wegfallen würde. Sie beschloss offenbar, unser Beziehungsfragment, das noch nie selbständig, ohne äusseren Anlass bestanden hatte, zu zementieren. Ein paar Tage nach dem letzten Kurs lud sie mich an einem Samstagabend zu sich ein, hatte Kerzen aufgestellt und meisterhaft gekocht. Die Wohnung war aufgeräumt, duftete fein und war voller Kleinigkeiten, die ihren Geschmack abbildeten. Wir assen die vier Gänge und sprachen über den Kurs. Nach dem Kaffee tranken wir die zweite Flasche Wein, und danach musste ich zur Toilette. Ich blickte in den Spiegel und bemerkte beim Anblick meiner verschobenen Augen sogleich, dass ich viel betrunkener war, als ich gedacht hätte. Ich wusch meine Hände und trat in den Korridor, zog meine Schuhe an und verabschiedete mich unter dem Vorwand, rasch kontrollieren zu gehen, ob mein Fahrrad gehörig abgeschlossen sei. Ich konnte nicht, es ging nicht. Ich fuhr davon und noch lange umher; Stunden später kam ich zuhause an. Ich habe ihr nie geantwortet, und sie hat es dann auch aufgegeben.“
Gerd lehnte sich noch weiter zurück und atmete lange ein. Dabei hob er seinen Kopf und blickte Max mit beinahe geschlossenen Augen ungläubig an. „Ich glaube dir kein Wort, mein Lieber; du schenkst dir Whisky für Whisky nach und plapperst in höchst geschmückten Details, als hättest du Wahrheitsserum gefressen. Aber eigentlich willst du mich verarschen, du bist doch nicht wegen dem Wein von da abgehauen? Ich kenne dich, du bist kein Gentleman, du verkaufst dich nur immer so.“ – „Das hab ich auch nicht behauptet. Aber ich hatte Angst, und mit dem Quantum Wein konnte ich mich nicht mehr kontrollieren. Ich flüchtete rein präventiv.“
Max drückte seine Zigarette aus und griff gleich wieder zum Tabakbeutel. Gerd sah durch den feinen Hemdstoff hindurch, dass Max’ ganzer Oberkörper fein zitterte, als er den Tabak ins gummierte Blättchen krümelte. „Ich sagte dir ja – ich lernte Melanie eigentlich auf dieser Party kennen. Die war in einer Landvilla am Bielersee, die Hausherren waren derweil in ihrer Landvilla in Andalusien, und vielleicht ging darum alles so wild. Alle tranken dauernd, und bald waren wir sehr ausgelassen. Ich wurde auch mehrmals in den Pool geschmissen, aber das machte mir nichts. Jeder sprach nun mit jedem, alle tanzten, und dass wir immerzu lachten, fiel uns gar nicht mehr auf. In solchen Nächten kann ich mich nie entscheiden, aufzuhören. Irgendeinmal sass ich neben Melanie am Pool. Melanie, die mir zuvor beim Tanzen ins Ohr geschrieen hatte, dass sie Melanie heisse und ich mich süss bewege. Niemand sonst war da, und wir teilten uns eine Flasche Wein. Ich hörte, wie wir beide mit schweren Zungen lallten. Sie war sehr zutraulich geworden und blickte immer wieder lange mit verklärtem Blick von unten in mein Gesicht. Damals war ich mit Fabienne zusammen, und darum verhielt ich mich trotz allem ein wenig steif. Ich wollte sie aber nicht abweisen, weil ihre Nähe mir gefiel. ‚Wie gehst du morgen nachhause?’ – ‚Ich denke, ich werde den ersten Zug nehmen.’ – ‚Wollen wir zusammen in die Stadt fahren… ich meine, wir könnten doch noch was machen zusammen … so sexuell oder so.’ Ich versuchte ihr beizubringen, dass das nicht gehe; aber sie wollte mit Hinweis auf ihren eigenen Freund lange nicht akzeptieren, dass da etwas problematisch sein solle. Schliesslich war es gleichgültig, da wir beide zu müde waren. Ihre Hand war in der Zwischenzeit auf meinem Oberschenkel immer weiter nach oben und innen gerückt, und dann tauschten wir ein paar unbeholfene Küsse aus. ‚Gehen wir schlafen?’, fragte sie nach einem Moment und wir gingen nach oben. Im Kinderzimmer war noch eine Matratze frei. Melanie legte sich hin und fiel augenblicklich in einen tiefen Schlaf. Ich legte mich neben sie und bedeckte uns beide mit einem offenen Schlafsack. Doch ich konnte nicht schlafen; längst wäre ich bereit gewesen, meine Vorsätze fallen zu lassen. So kuschelte ich mich an sie und legte meine Beine über ihre. Ihr Körper gab leicht und geschmeidig nach, doch sie schlief unbeirrt weiter.“
„Ja und?“ fragte Gerd, denn Max schwieg auf einmal wieder und starrte traurig auf sein Glas. „Nun bin ich bald so betrunken wie damals, da spielt es ja keine Rolle mehr… Ich spürte nur noch den Augenblick, mir war egal, was ausserhalb von diesem noch gewesen sein oder werden könnte. Ich streichelte sie zuerst vorsichtig, dann immer fester und bald überall; ich habe ihre Brüste, ihre Beine und ihre Unterhose gestreichelt und mich dabei an sie geschmiegt. Das ging lange so, und manchmal seufzte sie sanft und drehte sich ein wenig. Ich habe immer wieder versucht, sie zu küssen, doch sie ist nicht aufgewacht. Am nächsten Morgen sprachen wir nicht mehr viel zusammen, ich mied ihre Nähe und war elektrisiert. Ich war nicht nur schrecklich verkatert und übernächtigt, ich wurde mir langsam bewusst, was ich getrieben hatte. Und ich war sogleich überzeugt, dass sie es doch bemerkt und empört weitererzählt hatte. Wir wurden auf demselben Rücksitz nachhause gefahren und haben kein einziges Wort ausgetauscht. Ich fühlte mich dreckig und klein, stinkend und eklig. Am Schluss küssten wir uns zweimal auf die Wangen, als sie ausstieg, wünschten uns eine gute Zeit. Immer wieder erwartete ich in den nächsten Tagen, dass diskrete Polizisten mich von der Arbeit zur ersten Einvernahme abholen würden. Von Anfang an hatte ich daran gedacht, diese Schuldgefühle, die Angst und die Scham vor mir selber durch eine Beichte bei ihr zu lindern. Aber weil ich mir nicht sicher war, ob sie vielleicht doch gar nichts wusste, war ich zu feige und hoffte bloss, dass nichts passieren würde. Das Verdrängen ging von Tag zu Tag besser. Ich wartete ab, und nichts passierte. Bis wir uns im Workshop trafen. Ich hätte im ersten Moment schon weglaufen müssen.“
moccalover - 19. Okt, 23:19
Max
Ja, du hast recht, er könnte einem schon leid tun. Er lebt auf seine Weise sehr intensiv und fällt oft auf die Nase. Er geniesst es aber. Hier geht es um etwas, das hat er nicht genossen, das macht ihm bis heute Bauchweh.
Ich bin erstaunt, liebe Sravana, dass Du nicht negativer auf Max reagierst. Ich hätte gedacht, dass man ihn verurteilen könnte, er hat jedenfalls nach meinen Massstäben ziemlich klare Grenzen überschritten. Und da ist es für mich interessant, dass Du ihm offenbar milde gestimmt bist.
Da sie unbeirrt weiter schlief, hat Max bestimmt keinen Schaden angerichtet, ihr war evtl. wohl, seine Nähe zu spüren.
Wenn ich jeweils von Max lese, kommt es mir vor, als wäre er einsam, scheu und ein wenig verbittert.