fahnen
Nun kommen mir die Fahnen hoch. Die Fahnen, die ich am letzten Samstag wehen sah. Wer hatte schon wieder gesagt, er wünsche sich einen schweizerischen Fussballsieg, weil dann kein Gehupe anschwelle, wie es von Anhängern der türkischen Mannschaft zu erwarten sei? Nun wird da unten aufs Horn gedrückt, was das Zeug hält, und diese Jubelgeste kann nur von Anhängern der sieghaften Schweizer Spieler herrühren. Wie alt die geäusserte Ansicht über den Charakter des Südländers an und für sich doch ist, man hat hier schon viele hergebrachte Brauchtümer übernommen. Sie fahren im Kreise, schreien zu den Fenstern und Dächern heraus und lassen die rotweissen Fahnen wedeln.
Ein Fahnenreigen war’s damals beim Hinspiel; die Gewerkschafter mit den rotweissschwarzen Fahnen, die ihnen am Morgen aus einer Kiste verteilt worden waren, zwängten sich in die Bahnhofshalle. Ihre Transparente forderten Lohnerhöhungen, und die Fahnenträger waren auf dem Weg nachhause nach einer Demonstration. In die Halle drangen von der anderen Seite, von den Geleisen her, gerade die Fussballfans mit roten Tüchern in allen Formen ein. Sie hatten keine Spruchbänder, nur Halstücher und Fahnen mit weissem Kreuz oder weissem Halbmond und Stern auf rotem Grund, die sie im Fanartikelvertrieb erworben hatten. Friedlich wie die sich am Werktagsmorgen zuwiderlaufenden Pendlerscharen vereinten sich die gewellten Felder der Fahnen und teilten sich bald darauf wieder. Die singenden, skandierenden Stimmen vermischten sich; die konkurrierenden Nationalgesänge wurden bloss ganz kurz von ‚Bella Ciao’ übertönt. Ich erschauerte angenehm ob dem Eindruck, den ein Stück Tuch, wenn es nur genügend multipliziert und hochgehalten wird, erzeugen kann; und als ich die Kreuze und Halbmonde sah, dachte ich daran, wie oft und gern sich dieses Erschauern mit dem Grauen vermählt.
Ein Fahnenreigen war’s damals beim Hinspiel; die Gewerkschafter mit den rotweissschwarzen Fahnen, die ihnen am Morgen aus einer Kiste verteilt worden waren, zwängten sich in die Bahnhofshalle. Ihre Transparente forderten Lohnerhöhungen, und die Fahnenträger waren auf dem Weg nachhause nach einer Demonstration. In die Halle drangen von der anderen Seite, von den Geleisen her, gerade die Fussballfans mit roten Tüchern in allen Formen ein. Sie hatten keine Spruchbänder, nur Halstücher und Fahnen mit weissem Kreuz oder weissem Halbmond und Stern auf rotem Grund, die sie im Fanartikelvertrieb erworben hatten. Friedlich wie die sich am Werktagsmorgen zuwiderlaufenden Pendlerscharen vereinten sich die gewellten Felder der Fahnen und teilten sich bald darauf wieder. Die singenden, skandierenden Stimmen vermischten sich; die konkurrierenden Nationalgesänge wurden bloss ganz kurz von ‚Bella Ciao’ übertönt. Ich erschauerte angenehm ob dem Eindruck, den ein Stück Tuch, wenn es nur genügend multipliziert und hochgehalten wird, erzeugen kann; und als ich die Kreuze und Halbmonde sah, dachte ich daran, wie oft und gern sich dieses Erschauern mit dem Grauen vermählt.
moccalover - 16. Nov, 21:45