Sonntag, 6. November 2005

schwarze hunde, weisse hunde

Es gab einen schwarzen Hund, der es nicht lassen konnte, allen weissen Hunden, die er sah, nachzurennen und ihnen in die Hinterbeine zu beissen. Er war voller Neid gegenüber diesen hellen Geschöpfen, er war eifersüchtig auf ihr weiches, wohlriechendes Fell. Er wäre vielleicht am liebsten selber weiss gewesen; jedenfalls suchte er stetig die Nähe der weissen Hunde und konnte dann doch nicht anders, als sie zu beissen, sogleich das Kinn flach zum Boden zu drücken und davonzutappen. Als Welpen, so erinnerte er sich schwach, da waren wir alle im Korb und lagen in der Wärme der Mutter beieinander; schwarze und weisse Hündchen. Doch später wurden sie voneinander getrennt und nur noch unter ihresgleichen gehalten, damit ihr Fell reiner wuchs. Der schwarze Hund vermisste die weissen Hunde all die Zeit über sehr fest, und er war überzeugt, dass sie das bessere Fressen, die wärmeren Worte und das weichere Körbchen kriegten. Er wurde bitter ob der Trennung und seinem Neid. Heute sieht er häufig weisse Hunde, man hat ihn aus der Zucht entlassen. Aber er ist zu schüchtern und zu wütend, um sich vor sie hinzustellen und ihnen in die Augen zu blicken, sie zu beschnuppern, wie anständige Hunde das tun.

verfälschen.

Herr Devilliers wird wohl schon bald ein wenig im Gefängnis sitzen. Er hat nämlich beschlossen, so sagte er mir stolz, Wahlfälschung (Art. 282 StGB-CH) zu begehen, ein „Vergehen gegen den Volkswillen“. Das gibt Gefängnis bis zu drei Jahren. Vielleicht auch bloss eine Busse – wenn man lieb aussieht und nicht in amtlicher Eigenschaft handelt. Er hatte die Kampagne satt, die gerade lief. Abstimmungskampagnen waren immer mehr oder weniger heuchlerisch, aber diesmal fühlte er sich so angegriffen, dass er illegales Tun für gerechtfertigt hielt.

Wie immer am Sonntagmorgen sass Herr Devilliers in einem dunklen Kunstledersofa am Fenster des Tea-Room Royal und las ausgiebig deutsche und französische Zeitungen der letzten Woche. Er liess sich Kännchen mit Schwarztee bringen und ass um halbzwölf ein dreifaches Rührei mit Milch. Anstatt einer Krawatte wölbte sich wie immer ein feinbedrucktes, blaurotes Seidentuch aus dem um zwei Knöpfe geöffneten Streifenhemd. Heute brach die Sonne um zehn durch den Nebel, setzte den Teeperlen am Tassenrand einen Funken auf und liess die tiefen Furchen auf der Stirn von Herrn Devilliers klarer hervortreten, als er sich aufregte.

Es ist klar; es geht bei dieser Abstimmung nicht um den Sonntagsverkauf am Bahnhof, so, wie’s auf dem amtlichen Zettel steht, sondern um ein Signal, das die Bevölkerung den interessierten Deutern geben wird. Sie wird nämlich sagen: Ja, kein Problem, wir wollen einkaufen am Sonntag, und zwar alles und noch mehr; nicht bloss (weit ausgelegten) „Reisebedarf“. Sobald die Bahnhöfe alles verkaufen dürfen, werden sie zu Einkaufszentren mit Bahnanschluss, was wiederum enormen Druck auf die Städte und Megamalls auf der betonierten Wiese erzeugen wird. Sie werden Gleichbehandlung einfordern. Und je mehr Menschen am Sonntag arbeiten, desto weniger wird sich der Lohnzuschlag halten können. Darum geht es.

Hingegen lächelt von den Plakaten und aus den Inseraten, deren Textteil in fast bundesbahneigenem blauweiss gehalten ist, eine junge Dame mit Erfahrung als Bundesbahnangestellte, die Miss Schweiz wurde; in der Linken trägt sie das tägliche Fait-divers-Kompendium „20 Minuten“, diesen urbanen Inbegriff journalistischer Realitätsverachtung und leserischer Realitätsverweigerung. Keine Zeitung, und sei sie noch so gut geschrieben und bebildert, zählt so viele Leser hier wie dieses Schülerblatt, und weil sie gratis ist und auch sehr billig, verschmutzt sie zu Hunderten, in Dreck und Staub herumliegend, alle Züge und Bahnhöfe dieses Landes. Damit wurde sie in der Tat zum Symbol für den Bahnhof und die modernen, aufgeschlossenen, interessierten und modischen Menschen, die mit I-Pod und Gratisblatt über die Schienen sausen und einen Blick durchs Fenster nicht verständen. Und zu dieser Art von Modernität soll ich also ja sagen?

Nicht minder in Rage geriet Herr Devilliers ob der freisinnigen Partei, welche die freie Wahl, auf die bekanntermassen kaum jemand gerne verzichtet, einem knallharten „Einkaufsverbot“ gegenüberstellte. Es wäre eine jener Abstimmungen geworden, bei denen Herr Devilliers für die Schwachen gestimmt hätte, ohne sich mit der Vorlage näher zu beschäftigen, ohne gänzlich überzeugt zu sein, weil er seine Stimme aufgrund der einmal mehr zum Vornherein glasklaren Verhältnisse als kleines Protestsymbol verstanden hätte.

Doch durch diese beiden Kampagnen der Wirtschaft, die hier ein leichtes Spiel hatte und trotzdem keine einzige ihrer Karten auf den Tisch legte, fühlte sich Herr Devilliers in seiner Würde als betont intellektueller Mensch angegriffen. Eine Schönheitskönigin a.D., die mit dem Verdummungselaborat par excellence posiert und für Dinge wirbt, die nicht Gegenstand der Diskussion sind („Offene Bahnhöfe“). Und eine Partei, die offenbar den jederzeitigen Konsum einfordert und ihre Gegner, denen ein halbgrundsätzlich shoppingfreier Sonntag wünschenswert vorkommt, als Tyrannen, als Feinde von Freiheit und Vernunft, beschimpft („Freie Wahl statt Einkaufsverbot – Ja zu vernünftigen Ladenöffnungszeiten“).

Und in seiner Kränkung hat Herr Devilliers beschlossen, eigenhändig 17'000 Stimmen zu fälschen und in verschiedenen Zähllokalen in die Urnen zu schmuggeln. Selbst wenn ihm das gelänge, war ich versucht einwenden, würde diese Abstimmung für die Gegner mit noch viel mehr Stimmen Unterschied bachab gehen. Aber er will bloss seinen Ärger stillen, nicht ins Weltgeschehen eingreifen.

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wer das eigentlich sei
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