am Knotenpunkt
Der Intercityexpress ist mehrmals täglich zu Gast auf schweizerischen Schienen; und jedes Mal ärgern sich die Kellner des Bordbistros über die fremde Währung, die nicht in der Kasse, sondern im speziellen Geldbeutel lagert, und die sie hier umständlicherweise benützen müssen. Heute scheint es noch mehr Ärger zu geben, der Raum ist ausser mir nur noch erfüllt mit Anhängern eines Fussballvereins aus der Provinz, der im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit neuerdings an den edelsten europäischen Adressen antritt. Es ist die Zeit, in der alle Fussballmatches zu Ende sind, und in der noch eins getrunken wird, weil eines noch immer genommen ward. Trotz allem kaufe ich mir eine Flasche mit Bier und setze mich nach höflichem Fragen an einen besetzten Tisch. Die jungen Männer singen, rufen einander zu und telefonieren ebenso laut; die Trikotträger ihrer Embleme haben heute hoch verloren, doch das scheint niemand zu verdriessen. Immer wieder ergreift einer grundlos die Initiative, schreit dreimal rhythmisch wiederholt eine Anfangssilbe, und ganz gleichgültig, woran sie gerade sind, stimmen alle anderen in den Chor dieser eingeübten Gesänge von Identifikation und Abgrenzung mit ein. Der Kellner wird verspottet und verhöhnt, weil er sich gegen die mitgebrachten Bierdosen aussprach und sich weigerte, die Getränke am Platz zu servieren. Eine in ganz in Denimstoff gekleidete, elegante Frau mit langen Beinen und müdem Gesicht, die von der ersten Klasse her in den Raum gekommen ist, steht an einem der hohen Tische, raucht eine Zigarette und erzählt einem der Fans, wie sie in Mannheim eine schreckliche Stunde lang stecken geblieben ist. Er dafür erklärt ihr, wie seine Mannschaft, ohne die Meisterschaft gewonnen zu haben, nun in der Champions League spiele. Dazu trinken sie das zweite Fläschchen Weissen, den sie vereinbarungsgemäss gemeinsam bezahlen werden. Ich bewundere die dicke Haut dieser Frau, lese noch ein wenig in meiner riesigen Wochenzeitung und diskutiere mit dem Mann neben mir über die Verschlossenheit und Treue der Bergbevölkerung. Meine Mutter hat keine Katzen mehr, dafür nun ein Igelasyl, wo sie diese kleinen Kerle aufpäppelt, bis sie überwintern können. Nichts erzeugte mehr Sehnsucht nach Streicheln als ein Igel. Der Trainingsanzug eines neu eingetretenen Gastes erregt sogleich alle Aufmerksamkeit, er repräsentiert den Club von Anderlecht. Man fragt den Mann, ob er denn da spiele, doch der erwidert, nachdem die Sprache festgelegt wurde, auf Englisch, dass Fussball nur sein Hobby sei und er aus Korea stamme. Er ist sichtlich irritiert ob all des fremden Betriebes; und ich weiss nicht, ob er im Weggehen noch hört, wie der telefonierende Fan jauchzt, er habe mit einem Koreaner gesprochen. Ich fühle mich wohl, an dieser Kreuzung aller Leben. So trägt mich der Lärm und die Bewegung, bis wir einfahren im Bahnhof und die Lautsprecherstimme die Gemeinschaft säuselnd, und doch gewaltsam, aufhebt. Man klopft dem Kellner auf die Schultern, und dieser klopft erleichtert lachend zurück; er hat nun alles überstanden und ja doch viel verkauft. Die Frau verabschiedet sich unverbindlich. Und ich höre mich noch antworten, als ich gefragt wurde, wessen Fan ich denn sei: der Fan von niemand und von friedlichen Fans.
moccalover - 4. Okt, 00:11
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