Dienstag, 18. April 2006

rasieren.

"Sie tat mir ein wenig leid. Man muss die Arme bewegen, wie diese Walker, man muss sich Stöcke vorstellen und sich von der Erde abstossen. Sie aber, sie joggte wohl, doch sie wusste nicht wohin mit ihren langen, dünnen Armen, und sie schwenkte sie auf Hüfthöhe hin und her, anstatt vor und zurück. Ich sehe rasch, ob eine dünn ist oder mager, und ihre Arme waren eben nicht dünn, sondern mager. Nur ihr Hintern war normal (richtig hübsch!), und mir war sofort klar, dass sie sich gerade deswegen hier quälte. Ich überholte sie dann. Sie trug eine Brille, das habe ich noch gesehen. Dieses Vergebene in unserem Tun, das hat mich für einen Moment lang berührt." Max giesst sich noch etwas Wasser nach, legt seine Füsse auf den Beistelltisch mit dem Radiorecorder und zündet sich eine Zigarette an. Gerd räumt in seiner akribischen Weise den Geschirrspüler ein und schweigt, so dass Max geräuschvoll Rauch ausbläst und weiterspricht: "Weisst Du... Menschen, die sich den Intimbereich ganz oder partiell enthaaren, wollen damit ihre Sexualität im Alltag erleben, sie in den Alltag tragen. So wie manche immer und überall masturbieren müssen. Das ist so." Gerd wäscht sich lang die Hände, um sämtliche Spuren der Berührung mit der Spülmitteltablette abzuwischen, und dreht sich langsam um. "Mal ganz abgesehen davon, dass du wieder einmal nicht vom F-Thema wegkommst - hast du dir einmal überlegt?" - "Was überlegt?" - "Hast du dir das einmal überlegt? Deine Alltagstheorien mögen ja von bewundernswerter analytischer Schärfe, ja, sie mögen gar einer höheren Weisheit teilhaftig sein. Aber letztlich sind sie vor allem eines - unnütz. Ach, übrigens, rasierst du dich denn allmorgendlich, um dich deiner Männlichkeit zu vergewissern?" - "Natürlich."

Max raucht vergnügt weiter, und nach jedem Zug nimmt er einen kleinen Schluck vom dunklen Puglieser. "Diese Theorien, Gerd, sind sehr nützlich, sie dringen in den unbewussten Bereich, haken sich da fest und prägen deine Weltsicht. Und schon kennst du in diesem Chaos einen neuen, sicheren Hafen." Er grinst Gerd schelmisch an, währenddem er die Zigarette ausdrückt. - "Bist Du jetzt eigentlich zufrieden?" fragt plötzlich Gerd. "Ich wollte damit doch nicht zufrieden werden, ich wollte bloss die Dinge zurecht rücken. Es ging nicht, das sah sie genau gleich. Wie könnte ich zufrieden sein, ich bin eigentlich traurig darüber; ich hatte die Beziehung ja gewollt, wir beide haben sie gewollt.“ – „Ja, ihr habt gewollt, ihr habt es so sehr gewollt, und vielleicht habt ihr nur gewollt; darum ist es so lange gegangen.“ – „Du bist ungerecht. Ich mochte nie einen Menschen so gerne riechen, so gerne spüren.“ – „Das kann dir mit fast jedem passieren, wenn du nur willst. Gerade du bist der Prototyp des gefühlstechnischen Opportunisten. Übrigens: wenn das stimmt, was du da sagst, dann muss es dir ja sehr schwer gefallen sein, sie über Monate hinweg derart kaltzustellen; und wenn ich dich recht kenne, dann bemitleidest du dich auch noch ob dieser Bürde.“ – „Ja, das ist so, und ich werde mich bessern, sobald ich kann, lieber Gerd!“ – „Bleib bloss bescheiden, du schaffst das ohnehin nicht.“ – „Ich kann mich doch jetzt nicht einfach gut fühlen? Ich muss ja auch etwas lernen aus dieser Geschichte, sonst wiederholt sich das immer wieder.“ – „Musst du dich dafür so anschwärzen? Du willst immer der Engel sein, und dann schaffst du es nicht. Du willst der Superliebhaber, Superfreund sein, und dann schaffst du es nicht. Kein Übernahmeverschulden, Euer Ehren, da dem Beklagten schlicht die Fähigkeiten zum Einlösen des Versprochenen für jedermann offenkundig abgingen!“ – „Danke, du bist sehr lieb zu mir.“ – „Das hast du im Grunde gar nicht verdient. Sie ist eine Perle, weisst du das eigentlich? Du hast sie tausendmal anrennen lassen, du hast sie gemieden, wenn es nur ging.“ – „Das war erst ganz am Schluss, sie hat zuerst geblockt; damals, als ich noch wie ein Hampelmann um sie herumzappelte. Und, gut, ich habe sie dann kopiert. Kinderspielchen, jawohl.“ – „Hör einfach auf mit deiner Selbstkasteiung, und es wird schon viel besser. Lass deine Kinderromantik beiseite, verführe die Damen nicht mit Schauspiel, und es wird richtig gut. Ehrlich, Max, du brauchst sie wirklich nicht alle.“ – „Ich bin mir sicher, dass wir in absehbarer Zeit Sensoren-Pads auf den Handinnenflächen tragen, mit denen wir die wichtigsten Funktionen unserer Kleidung und unserer Handgeräte steuern können. Wir werden uns rasch daran gewöhnen.“ – „Ich bin mir sicher, dass du in absehbarer Zeit daherkommen und von einer neuen Mitarbeiterin des Haarpflegesalons erzählen wirst, die dir den Kopf derart zärtlich massiert habe, dass du sie zum Nachtessen habest überreden müssen.“

fliegen.

Niemand hat gestern meinem Mobiltelefon gesagt, dass es mich nicht wecken solle. Es konnte nichts dafür.

Ich fliege ja nicht wirklich häufig, und es fehlt mir gemeinhin auch nicht. Wohin sollte ich denn die ganze Zeit fliegen, warum in hochgezüchteten Räumen meine Zeit verleben. Und fast ist mir, als könnte dieser anstachelnde Zauber des blitzartigen Versetztseins sich verflüchtigen, flöge ich zu häufig. Wenn ich aber, wie gestern, im Zug aus Zürich hinausfahre, an abgestellten Fernzügen entlang und der Abendsonne entgegen, die sich daran macht, sich sanft auf die dunklen Rücken des Jura zu legen - und wenn ich dabei die Vielfalt der industriellen Niemandsländer, der Schrebergärten und der Leuchtbuchstaben im Schnelldurchlauf auf mich einwirken lasse, wenn dann ein noch gut erkennbares Flugzeug seine Nase steil in den hellen Himmel streckt, so wärmt mich doch der Wunsch, wieder einmal wegzufliegen. Und wenn es nur wäre, um mich durcheinander zu bringen. Und wenn es nur gälte, das Licht eines schönen Abends zu verlängern.

Vor der Haustüre dann, nachdem ich im Bahnhof beim Studium der Gesichter und des Verhaltens der Fans beider Gruppen nicht recht schlüssig geworden war, traf ich einen Fan (er trug ein rotweisses Halstuch, und seine weiter weg herumstehenden Freunde auch), der, im Türrahmen halb liegend verkeilt, zwar nicht schlief, aber sichtlich die Augen nicht mehr offenzuhalten vermochte. Ich sprach ihn leicht amüsiert an und machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich für den kurzen Moment, in dem ich die Türe öffnen und das Haus betreten würde, selber halten müsse, damit er nicht mit dem Kopf auf den Steinboden falle. Er stand sogleich auf, nachdem er mich blinzelnd gemustert hatte, und entschuldigte sich artig lallend. "Du musst dich doch nicht entschuldigen, ich will dir keine Umstände machen!" Ich konnte endlich mein Bedürfnis stillen: "Und, was habt ihr gemacht?" - "Hmmm, weiss nicht mehr." - "Was, du weisst nicht mehr, ob ihr den Cupfinal gewonnen oder verloren habt?" "Nein, weiss nicht mehr. Zweieins, glaube ich."- "Und für wen, das weisst du nicht mehr?" - Jetzt drehte er einen Kreis auf dem Gehsteig, um sein Gleichgewicht zu halten. "Nein... nein, wirklich nicht. ... Ist ja auch wursssss...t." Ich drehte mich in der Türe noch einmal um. "Recht hast du, es ist ganz gleichgültig. Nun denn, einen schönen Abend noch, und gute Heimkehr!" - "Ja, danke, und schlaf dann gut!"

Vielleicht reicht es, im Kopf kurz wegzufliegen.

anständig.

Als Kind denkt man ja, es sei bieder und spiessig, es sei höchst feige und allzu genügsam, sich damit zufrieden zu geben, ein „anständiges“ Leben zu führen. Und später merkt man vielleicht, wie schwer einem schon das nur fallen kann.

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nuusche

 

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wer hat das angerichtet?
Die Ursache? Es ist nicht die Gier. Es ist der Glaube...
moccalover - 12. Mai, 22:39
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Reh Volution - 10. Nov, 07:32
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moccalover - 6. Nov, 00:05
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