Herr Tobler erleichtert sich
Ehre sei diesem Ort, dachte Herr Tobler, währenddem das Blut als warme Gelassenheit die Adern seiner Beine hinabrieselte und sie löste, so dass er ob seiner Entspannung fast gegen die Mauer gefallen wäre. Herr Tobler muss samstags einkaufen, weil er sonst arbeitet und der Abendverkauf am Donnerstag ihn noch schlimmer dünkt. Vor allem jetzt im Winter, wenn die Strassen abends trotz aller technischen Bemühung dunkel bleiben, nie dieses Strahlen erzeugen, das ihre Steine in der kräftigen Sonne zeigen. Im Winter ist das Einkaufen nur sich selber, das Ladengeschäft die sinnstiftende Oase in der Eiswüste. Alles verspricht Wärme, alles verlockt. Herr Tobler hat sich heute im Antiquitätengeschäft einen alten Photoapparat gekauft, und auch den luxuriösen, teflonähnlich-kalkresistent beschichteten Duschvorhang und die sechs vanillecremegefüllten Berliner Pfannkuchen im Sonderangebot hat er sich ohne grosses Ringen angeeignet. Und weil der Weg durch die Wüste ihm mit dieser Last so lang erschien, trank er reichlich Tee mit Rum auf halbem Weg, in einer Gaststätte, die nach Schweiss roch. Nach drei Vierteln des Weges, das wusste Herr Tobler, würde der Turm kommen, der die alte Funktionalität der Stadt dem Heute aufzwang und mitten auf der Strasse stand. Und in dessen Schatten stand Herr Tobler, mitten auf der Strasse, an der Turmseitenwand, hinter einer bräunlich lackierten Doppelblechwand, die ihn gegen aussen zwischen den Kniekehlen und den Schulterblättern verdeckte. Die gemalte Inschrift auf der Wand verbleicht stetig, doch man kann gleichwohl gut erkennen, dass man höflichst gebeten werde, die Örtlichkeit in reinlicher Verfassung und mit geordneter Kleidung zu verlassen. Herr Tobler fasste sich, schloss seinen Gürtel und blickte über die Blechwand. Seine Erleichterung, die er hier immer empfindet, dieses Glück, es gerade noch hierher geschafft zu haben, wich sogleich stets der Beklemmtheit, dass er von hier offensichtlich mit ungewaschenen Händen auf die Strasse treten würde; dass er überhaupt gerade bei einer Obszönität beobachtet worden sein könnte. Sobald er draussen in Sicherheit war, blickte er zurück und fühlte sich dankbar für die Geschichte, die diesen Ort dem Menschlichen reservierte.
moccalover - 20. Sep, 21:29