zugfenstergedanken.

Man wird sagen können, und dafür stilles Zunicken ernten, dass die Leute sich rasch daran gewöhnten; damals, als das absolute Verbot des Rauchens auf sämtliche Eisenbahnwagen ausgedehnt wurde. Genauso, wie man im Lift schon lange nicht mehr daran dachte, eine Zigarette anzustecken, und man es auch bei einem Bewerbungsgespräch wie selbstverständlich unterliess, genauso dachte man im Zug schon bald nicht mehr ans Rauchen, das nur noch unter freiem Himmel zu sehen war. Immer mehr spürte man, so wird man sagen können, dass Züge kein Ort sind, an dem man rauchen kann, denn man roch nichts mehr, und man sah niemanden rauchen. Und an solchen Orten war man ohnehin im Allgemeinen sehr vorsichtig geworden; man war damals sehr empfindlich für die Blicke anderer. Man wird sagen können, dass man vielleicht seine Gewohnheiten ein wenig verlagerte und bald ganz einfach nicht mehr daran dachte. Schriftsteller und Kolumnisten hätten während einiger Zeit noch nostalgisch den Verlust beklagt, dass man nun nicht mehr den feinen Rauchfäden zusehen könne, die vor dem grossen Fenster emporstiegen, wie sie bei all der vorbeischiessenden Landschaft ihre eigenartige Ruhe bewahrten. Andere wiederum hätten noch eine Zeit lang entnervt davon geschrieben, wie sich nunmehr die klassische Kundschaft der Raucherabteile mit all ihren Besonderheiten über den ganzen Zug gleichmässig verteilte. Doch bald darauf, wird man sagen können, sei es ruhig geworden.

In Österreich stifteten letzthin Raucherabteile in schweizerischen Eurocitywagen Verwirrung, da die Aschenbecher noch nicht verklebt waren, die Piktogrammzigarette an der Wand über der Tür indes schon rot durchgestrichen war. Einer nahm sich sein Recht in seinem Land, rauchte viel und liess die Kopfhörer scheppern; er erzürnte sogleich andere, die im Vertrauen aufs Verbot schräg vor ihm Platz genommen hatten. Dass in einem Provinzbahnhof zwei Polizisten einstiegen, ein paar Pässe kontrollierten und den stetig Rauchenden durchsuchten, im Computer nachschlugen und schliesslich mitnahmen, hatte jedoch sicherlich andere Gründe.

Ich habe heute im Zug während vierzig Minuten ein berühmtes Energiegetränk gerochen, das sich mein Wagennachbar einflösste. Und in Spitälern sind die meisten Mitarbeitenden weiss angezogen; nur beim Putz- und Küchenpersonal gibt es grössere und kleinere farbliche Abweichungen. Selbst der Lift wird im Spital desinfiziert, es riecht da wie an den Händen eines Zahnarztes bei der Arbeit. Im Krankenhaus sind alle auf einer Plastikplakette angeschrieben, welche das moderne Logo des Spitals trägt. Man erfährt ihren Namen und ihre Funktion. Sie lächeln häufig, wenn man durch die Gänge geht; sie erledigen eine Vielzahl anspruchsvoller Berufe und sind sehr freundlich, wenn sie im Zimmer vorbeischauen. Sie haben alle ihre Geräte und Techniken, und sie sagen immer, was sie mit einem machen werden; immer fragen sie, ob sie das dürften. Sie stehen Schlange, treten einer nach dem anderen ins Zimmer und verrichten ihren Dienst am Körper, und manchmal auch an der Seele. Sie erdenken sich sogar, mehr Butter an die Nudeln zu geben für einen Körper, der verhungern will.
Lo - 21. Dez, 20:55

Zugestiegen.

Bin eben das ganze (Lese-)Stück mitgefahren
und habe beinahe das Aussteigen vergessen.
Gut, dass niemand kontrollierte.

lo.

moccalover - 21. Dez, 21:08

Willkommen! Und keine Angst, der Zug wendet am Zielbahnhof und fährt dann auch wieder zurück, wenn Sie die Landschaft noch mal sehen möchten.
moccalover - 9. Jan, 23:21

Nicht im geringsten antiquiert, Herr wvs! Es ist tragisch im eigentlichen Sinne, aber unausweichlich, dass jedes genauere Verständnis von Todesursachen zu neuen Regeln führt, die solche Todesarten zu vermeiden trachten.

Ich kann mich gegen kein Rauchverbot stemmen, welches zugunsten von Arbeitnehmern wirkt; das sehe ich mit Wehmut ein. Die Selbsttötung jedoch, Herr wvs, den ich beispielsweise auf Raten durch Zigaretten praktiziere, bleibt vorderhand noch verfassungsrechtlich geschützt. Solange ich nicht andere beeinträchtige. Falls Sie jedenfalls auch ein wenig implizierten, dass nicht nur das Schöne und Gute einem Spass bereiten kann, dann stimme ich Ihnen zu!

Unsere Welt hat immer mehr und komplizierter Zusammenhänge, und immer mehr von diesen (aber weniger, als neue entstehen) können wir erkennen. Das muss Folgen haben, denn wir leben auch in der Zeit der Machbarkeit bei Strafe des Versagertums.

Nun ist das Zugfahren ohne Rauchen schon Gewohnheit, und bestimmt wird eine neue Freude die alte ersetzen. Am Flussufer am Spätsommerabend ist das Rauchen immer noch erlaubt. Den Tod wird uns niemand abnehmen können.
Reh Volution - 30. Dez, 20:58

SUCHFAKTOR

ttttttttttttttttttt error ttttttttttttttttttttt
auf den Schwingen des Glücksvogels reiten die Rauchschwadeninhalenten -
getragen von fehlgeleiteten Chemikeridealen zu immer höher gelegenen spirituellen Ergüssen
der Weg vom Olymp des Genusses zu den Ursprüngen
weißem Schnee,weißen Kitteln, weise Weihnacht
vom Dienst am Körper zur Freiheit der Seele
nur behilflich sein
nur fördern
Moral und Oralsex von Polizisten
Gesuche
Der Wille ist der Weg
Tee & Cigarettes
Züge befördern Rauch in Lungen und Menschen zu neuen Orten.
Zug um Zug kommen Menschen ihren Zielen näher.
Der weiße Teppich hinter dem Zugfenster konterkariert die geteerten Wege meiner alten Raucherlunge
Beim Schach wähle ich fort an weiß
Druck und Moralkampagnen können mir dann auch gestohlen bleiben

moccalover - 9. Jan, 23:23

das ist sehr schön - und die die Ambivalenz lässt mich ein wenig erschauern.

Betrachten Sie mich bitte nicht als Propagandisten für irgendetwas :-)
Reh Volution - 12. Jan, 22:34

DANKE

Freut mich das ihnen meine Hommage an die Zeit als Raucher gefallen hat
Die Die Ambivalenz mußte ich mal bei Wikipedia eingeben -
"Unter dem von Eugen Bleuler geprägten Begriff der Ambivalenz - von lat. ambo (beide) und valere (gelten) - wird in der Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychoanalyse das Nebeneinander von gegenteiligen Gefühlen, Gedanken und Wünschen verstanden. Für Bleuler war die Ambivalenz das Hauptsympton der Schizophrenie."
Mist doch Schizo - wahrscheinlich eine Folge unkontrollierten Konsums ;)

moccalover - 12. Jan, 22:53

Die Ambivalenz bezog ich vor allem auf mich als Leser; fürchten Sie sich nicht vor Krankheiten, sonst kommen sie. Ich selber spüre grösste Zu- und Abneigung bei dem Thema.

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