Bilder im Kopf

Donnerstag, 17. November 2005

ich selber.

Warum auch nur denkst du, dass das eine vergeudete Zeit gewesen wäre; dass die kurze Zeit, in der du zuhause herumsassest, besser war als jene, die du erlebt hättest, wenn du gemütlich die Strasse hochgegangen wärest, auf den Mauern neue Schriften gesucht hättest, gelassen anstatt gehetzt durch die Unterführungen gegangen wärest? Es hätte vielleicht sogar noch ein Kaffee dringelegen. Aber jetzt ist es gut, jetzt hast du die Beine ja schon gestreckt, die Füsse auf die Tasche gelegt, die auf dem Sitz gegenüber liegt. Die Tasche wird alt. Passt sie noch zu dir? Willst du noch diesen Kontrast? Ja, aber sicher doch!, das wirst du jetzt sagen, nicht wahr, ich kenne dich doch. Du willst alles zugleich haben, und alles zugleich sein. Nur keine Entscheidung treffen, die wirklich Folgen hätte. Und überhaupt, hast du dich vorhin im Spiegel unter den Kleiderhaken gesehen? Du bist ganz bleich und hast Augenringe. Das kümmert dich nicht, aber darum geht es mir ja auch nicht. Schlaf doch wieder einmal. Ja, natürlich solltest du schreiben, wer sollte das nicht. Du magst es ja, die Welt selber zu kontrollieren; herauszuputzen, was dir in Form, Farbe und Ton gerade passt, und vergessen, worüber du nicht denken magst; die Menschen wie fernbediente Roboter bewegen und mit deinen Ideen auffüllen. Sie einfach erleben lassen, was deiner Meinung nach sein könnte. Aber hast du dir schon einmal überlegt, wie abgeschrieben alles ist. ‚Abgeschrieben’, nicht im Sinne von kopiert, sondern wie abgegriffen; nicht physisch abgegriffen, sondern geistig. Was siehst du denn, die Bäume sind kahl und verweigern sich jeder Schönfärberei, die Menschen brauchen alle gleichzeitig jetzt ihre Ruhe; und du sitzt allein in diesem Sechserabteil, das auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke sanft vibriert und ein wenig ruckelt, wenn es ausnahmsweise über Weichen fährt. Sonst nichts. Du solltest dir die Nichtigkeit dieser halben Stunde, in der du hier sitzt und so schnell fährst, dass du eigentlich nirgendwo bist, zunutze machen – du solltest einfach mal nichts tun. Du solltest die Lücke, in der du nichts zu tun hast, ausser deinen müden Geist zu beschäftigen, gar nicht erst aufzufüllen versuchen. Nein, nicht einmal musikhören, nur dasein. Ach, wegen mir kannst du das nicht? Ich bin schon weg, ich lass’ dich sogleich in Ruhe. Wir haben uns so lange nicht gesprochen, dass ich das nun schon ein wenig auskosten möchte. Das Abteil hier riecht verreist; zufällig haben sich hier tausend Gerüche eingefunden, sind hängen oder kleben geblieben und dann gemeinsam alt geworden. Damit lässt sich doch etwas anfangen, nicht? Ich soll dir nicht so kommen? Na, wie denn sonst, ich bin ja nicht an deiner Stelle, ich kann die Dinge nicht berühren. Mach deine Nase auf, und schalte dein Programm aus. Ich weiss, ich sollte schon weg sein. Aber schau doch einmal zur Fensterscheibe. Siehst du dich? Du siehst doch bloss zwei Augen, die dich fixieren, und einen Kopf darum herum. Oh, das fühlt sich alles so fremd an? Du siehst nur die Augen oder den Kopf, aber nie alles zusammen? Du siehst nicht, wer sich hinter diesen Bildern versteckt? Nun, deswegen bin ich hier und helfe dir ein wenig. Aber du wolltest mich weghaben, ich verstehe dich, du bräuchtest ja wirklich bloss Ruhe. Und bitte, versuche doch, deine Aggressivität ein bisschen zu dämpfen, schliesslich sitzen wir doch im selben Boot. Ich gehe jetzt. Mach doch, was du willst, ich hab’s dir wenigstens gesagt. Das ist übrigens ein Ruheabteil, mein Lieber. Zu deinem Glück bist du alleine. Und, naja, wenigstens sprichst du jetzt wieder mit dir selber.

Freitag, 11. November 2005

phantastisch

Die Phantasie ist wohl ein kleiner Speichersee, hoch oben in den Bergen. Und wenn die Gewitter über die Gipfel ziehen, dann füllt er sich rasch, das Wasser schwappt über die Mauern und tost zu Tale. Danach ist es lange ruhig; nur ein kleines Rinnsal, das oft vertrocknet, kommt noch herunter, der Gletscher schmilzt beständig und füllt das Seelein wieder auf. Nur manchmal, da habe ich Angst, der Gletscher könnte verschwinden, oder die Gewitter andere Wege finden.

wie_gehts

Wie geht es Dir? – Ui, da erwischst du mich aber komplett auf dem falschen Fuss. Was soll ich dir sagen, ich weiss nicht so recht. Ich war zuletzt… warte mal, ich war, glaube ich, Montag… nein, es muss Sonntag gewesen sein. Ja, Sonntagmorgen. Sonntagmorgen war ich das letzte Mal kurz bei mir, aber in der Hast vergass ich glatt, nachzuschauen. Und jetzt bin ich die ganze Woche über schon gefühlsblind.

Mittwoch, 9. November 2005

ruhe, wohnung, ruhe.

Das Fenster ist einen Spalt breit geöffnet, die Flügel liegen über Kreuz. Der Esstisch ist aufgeräumt, die Brotkrümel warten auf dem Fenstersims auf hungrige Spatzen. Nur ein zerfledderter Taschenfahrplan liegt ausserhalb der Ordnung neben der Fruchtschale auf dem Tisch. Die Wohnung ist leer, sie ist zur Ruhe gekommen und atmet warme Abendluft durch den Fensterspalt hindurch. Die Asche im Abfallsack wird bald aufhören zu stinken, die Kaffeemaschine wird erkalten, die Tropfen im Schüttstein werden verdampfen. Und der Staub, der jetzt noch in den Sonnenstrahlen tanzt, wird sich auf die Bücher legen, die unter der Bettkante liegen. Das Lämpchen der Spülmaschine gibt der Stille in grüner Farbe den immergleichen Takt vor. Ein Heizkörperventil winselt eintönig vor sich hin, die Kaffeedose fällt vom krummen Zeitungsstapel und entlässt ihre Bohnen mit kurzem Scheppern auf den Boden. Das Zeitungspapier wird sich in der feuchten Luft leicht wellen, wenn die Nacht Regen bringt. Die Düfte in meinem Bett werden verflogen sein, es wird so fremd riechen wie ein Hotelbett. Die Bananenstaude wird ein neues Blatt entfaltet haben, wenn ich zurückkomme. Und an seiner Spitze wird ein öliger Wassertropf glänzen.

Montag, 7. November 2005

fortschritt.

Ein Riesenfortschritt, sage ich dir: Kein Ausschnitt, kein Mini, keine blaugrüne Glimmerschminke und kein Parfum. Nur Lunch, sie einen Salat und ich Spaghetti; unter Berufsleuten, sozusagen. Bald habe ich sie so heruntergeschraubt, dass ich sie wieder ertrage. – Und warum sagst du ihr nicht gleich, dass du nichts an ihr findest? – Naja, das würde erstens sehr intensiv, dafür habe ich keine Kraft. Und zweitens finde ich, dass es für sie besser ist, wenn sie selber darauf kommt; als selbst gewonnene Erkenntnis wird sie souveräner damit umgehen und genau dasselbe Ergebnis als Erfolg und nicht als Niederlage werten.

mögen

Kennst du die vielleicht? Du schaust ihr immer wieder nach, das habe ich wohl bemerkt. Die schaut ja sehr lecker aus. - Ja, das ist die Nadine aus dem Grundkurs, die serviert manchmal hier, wir kennen uns tatsächlich ein bisschen. – Willst du nicht hingehen und hallo sagen? Ich meine ... – Nein, das bringt nichts. Sie mag mich nicht einmal halb so gut wie ich sie.

Sonntag, 6. November 2005

schwarze hunde, weisse hunde

Es gab einen schwarzen Hund, der es nicht lassen konnte, allen weissen Hunden, die er sah, nachzurennen und ihnen in die Hinterbeine zu beissen. Er war voller Neid gegenüber diesen hellen Geschöpfen, er war eifersüchtig auf ihr weiches, wohlriechendes Fell. Er wäre vielleicht am liebsten selber weiss gewesen; jedenfalls suchte er stetig die Nähe der weissen Hunde und konnte dann doch nicht anders, als sie zu beissen, sogleich das Kinn flach zum Boden zu drücken und davonzutappen. Als Welpen, so erinnerte er sich schwach, da waren wir alle im Korb und lagen in der Wärme der Mutter beieinander; schwarze und weisse Hündchen. Doch später wurden sie voneinander getrennt und nur noch unter ihresgleichen gehalten, damit ihr Fell reiner wuchs. Der schwarze Hund vermisste die weissen Hunde all die Zeit über sehr fest, und er war überzeugt, dass sie das bessere Fressen, die wärmeren Worte und das weichere Körbchen kriegten. Er wurde bitter ob der Trennung und seinem Neid. Heute sieht er häufig weisse Hunde, man hat ihn aus der Zucht entlassen. Aber er ist zu schüchtern und zu wütend, um sich vor sie hinzustellen und ihnen in die Augen zu blicken, sie zu beschnuppern, wie anständige Hunde das tun.

Freitag, 4. November 2005

so gut.

haben wir’s so schlecht, weil wir uns fast nie sehen – oder haben wir’s so gut, weil wir so weit voneinander sind?

Montag, 24. Oktober 2005

ungeachtet

Ungeachtet von allem, was je Böses und Liebes geschrieben werden wird: Es ist auf dem Dorf und nicht in der Stadt, wo man am wenigsten auf jemand gewartet hat. Denn nur in der Stadt ist es zumindest gleichgültig, was ich tue.

Mittwoch, 19. Oktober 2005

jeder

Der Junge schmeisst seine Zigarette in bedächtig inszeniertem Schwung zu Boden, die Zigarette landet knapp vor den Füssen eines vorbeieilenden Manns in schwarzem Anzug; der Mann im schwarzen Anzug hastet weiter, flucht durch die Zähne und herrscht einen Bettler an, sich wegzuscheren; der Bettler schreckt zurück und duckt sich, gibt seinem Hund einen Tritt und setzt sich wieder auf sein Kissen unter dem Schaufenster; der Hund tapst winselnd davon und über die Strasse, wo er sich vor einem kleinen Mädchen aufstellt, den Kopf vorstreckt und laut bellt; das Mädchen zuckt zusammen, läuft zum Pausenplatz und verrät seine Freundin beim Klassenlehrer; der Lehrer geht hoch ins Lehrerzimmer und schreibt eine wüste SMS an seine Exfrau; die Exfrau liest die Nachricht nur zur Hälfte, schmeisst das Telefon auf den Glastisch und schenkt sich Brandy nach. „Jeder sitzt in seiner eigenen Scheisse“, sagt sie zur Katze auf ihrem Schoss.

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wer hat das angerichtet?
Die Ursache? Es ist nicht die Gier. Es ist der Glaube...
moccalover - 12. Mai, 22:39
dem gedanken folgen.
sobald ich versuche, alles in mehr oder minder stummes...
moccalover - 19. Nov, 22:36
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es ist doch nicht das unternehmen, das ethisch sein...
moccalover - 19. Nov, 22:34
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und was das heisse, wenn jemand jemand sei.
moccalover - 19. Nov, 22:33
danke. wenn nur die umsetzung...
danke. wenn nur die umsetzung so einfach wie die erkenntnis...
moccalover - 19. Nov, 22:31
wer das eigentlich sei
wer das eigentlich sei
Reh Volution - 10. Nov, 07:32
da steckt viel wahrheit...
da steckt viel wahrheit drin.
me. (Gast) - 7. Nov, 21:10
danke!
danke!
moccalover - 6. Nov, 00:20
das verbrechen.
Das grösste, das ursprünglichste und verheerendste...
moccalover - 6. Nov, 00:05
nah und fern.
Leo drehte die Bierflasche langsam auf den Kopf, und...
moccalover - 6. Nov, 00:05
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moccalover - 6. Nov, 00:04
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Reh Volution - 12. Okt, 08:12
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moccalover - 12. Okt, 00:43
Sandwichs.
Du hast jemand, der für dich Sandwichs streicht. Da...
moccalover - 2. Sep, 22:53

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