Dienstag, 6. September 2005

zum Glück

Sie ist jetzt verheiratet, ganz frisch, sagt sie mir am Telephon, und zum Glück sage ich nicht zum Glück. Ich sage nur, dass es schade sei, dass ich nicht dabei sein konnte. Wir plaudern vergnügt über ihre Hochzeit, von der sie mir ausführlich berichtet. Und in den Flitterwochen seien sie für zwei Wochen, nur sie mit einem Koch, vier Pferden und einem Führer, durch die Wüste gezogen. Der Koch habe den ganzen Tag lang gekocht für sie, sei ihnen vorausgeeilt und hintennachgerannt, um für sie zu kochen. Und der Führer habe sie gar nichts machen lassen, weder Zelte aufbauen noch abwaschen. So liessen sie sich verwöhnen, und sie genossen es. Es sei nicht einmal teuer gewesen. Zum Glück war ich nicht dabei.

Im Strassencafé

"Sie haben mich beeindruckt, mein Herr, wie Sie während unseres ganzen Gespräches nicht im geringsten das Fachliche verlassen haben, weil Sie, selbst wenn Sie den Leuten auf der Strasse zusahen, nur an unsere Diskussion dachten, weil Sie die Pracht der sommerlich gekleideten Frauen nicht wahrnahmen!" - "Oh, Sie müssen da etwas missverstanden haben, ich habe all dies sehr wohl bemerkt, ich habe den Frauen nachgeschaut, und ich habe gut verstanden, wie Sie mich auf den halb entblössten Po der jungen Dame neben uns hinwiesen. Ich fühlte mich nur ausser Stande, solche Gesichtspunkte in unserem Gespräch aufzunehmen, ich hielt das für uninteressant in der Diskussion, die wir führten."

Sommerduft an den Fingerkuppen

...in den Gärten und den öffentlichen Töpfen, überall blüht jetzt der Lavendel, eine Blüte findet zwischen meine Finger, wird abgerissen, wird mitgenommen; ich klaube die einzelnen Blütenköpfchen während meiner Arbeit ab und zerreibe sie zwischen den Fingern, die den Duft zu meiner Nase tragen...

was gut ist für mich

…das Problem besteht ja nicht darin, dass manche Leute besser wüssten als andere, was für sie gut ist – es ist vielmehr, dass für manche Leute Realistischeres gut ist als für andere.

Das sagte Frau L. vom Bestattungsinstitut, als sie sich von der Maschine im Pausenraum einen Kaffee brauen liess.

Rückblick

"Er hatte wenigstens Träume…“. Ich stelle mein Teeglas auf das gelbe Papier in der Untertasse, entflechte Zeigefinger und Tassengriff meiner Rechten vorsichtig und nehme die Hände zu mir. Die Finger der jungen Frau knabbern an der Zellophanhülle einer Zigarettenpackung. Sie hebt ihren Kopf und trotzt gebückt, nicht gegen mich, aber gegen das Fenster, gegen die Tür, gegen den Raum. „Ich habe ihn vielleicht nicht wirklich geliebt, ich habe ihm vielleicht auch nie wirklich geglaubt. Aber das zählte eben nicht.“ Sie mag zweiundzwanzig, höchstens vierundzwanzig sein; und als sie ihn kennenlernte, war sie eineinhalb Jahre jünger.

Damals hatte sie gerade ihre Ausbildung abgebrochen und arbeitete mal als Kellnerin, mal als Babysitterin, und fragte sich, was sie tun sollte. Sie hatte immer schon hier gewohnt, in diesem grossen Landdorf weitab von jeder Urbanität. Er war eines Tages einfach da, erschien aus dem Nichts in der Bar, in der sie aushalf, und trotzdem schien er schon eine Menge Leute zu kennen. „Er war immer sehr ausgewählt gekleidet, und schon bald wusste man, dass er teure Geländewagen fuhr. Und Sportwagen. Er war sehr einnehmend und bezahlte oft ganze Runden.“ Bald schon hatte er sie als Webdesignerin für die Firma geworben, die er in dem Landdorf gerade aufgezogen hatte. „Er sprühte vor Ideen, und er wollte immer alles sofort umsetzen, alles kaufen. Und mich verwöhnte er natürlich auch über alle Masse. Wir waren in den teuersten Hotels, genossen das feinste Essen. Ich muss sagen, dass ich ihn zu Beginn nur machen liess, weil ich meiner ehemaligen Schulkollegin eins auswischen wollte, die, als noch sie mit ihm zusammen war, mich wegen seiner Avancen fertigmachen wollte.“

„Ich fragte ihn immer, wo er das Geld herhabe, wenn doch die Firma noch nicht laufe, und er hatte immer eine gute Antwort, sprach von Beziehungen und stillen Reserven, von Firmen im Ausland, die florierten und ihm gehörten; er zeichnete Checks, die faul waren, und er redete sich erfolgreich um Kopf und Kragen, um Produkte zu kriegen, ohne eine Anzahlung zu leisten. Es war immer gleich, die Leute liessen sich am Anfang von ihm eingarnen, und bald schon lag er mit allen im Streit. Er hielt sich an nichts, und sah nie einen Fehler. Ich glaubte ihm auch immer wieder, er weinte oft, und er sagte, dass das alles bald vorüber sein und dass wir bald reich sein würden. Am nächsten Tag hatte er vielleicht ein neues Auto ertrickst, und wir fuhren damit in einen Luxusurlaub. Ich vergass schnell, was ich ihm riet.“

„Er sprach immer davon, dass er das ganz Grosse aufziehen wollte, er hätte die Idee schon lange, nur fehle ihm noch das Geld dazu. Dann würde diesem Provinzkaff endlich ein zünftiger Schub an Fortschritt und Leben verpasst. Wir waren auf den Malediven zusammen, und er schien mir die Welt schenken zu wollen.“ Ich bitte die junge Frau um eine ihrer Zigaretten und lächle zum Dank. „Das mag ja schon stimmen“, meine ich, nachdem ich den ersten Rauch ausgeblasen habe. „Das mit den Malediven war genau vor unserer Verhaftung. Er hatte nicht einmal versucht, die Hotelrechnung zu bezahlen, und so wurden wir noch vor dem Abflug in Handschellen gelegt.“

Die Frau verfällt mehr und mehr in hadernde Töne. Seit geraumer Zeit spickt sie mit ihren Fingern immer wieder genervt Krümel von der Tischdecke und zieht Fusel aus ihrer Wolljacke. „Ich habe mich oft gefragt, wie ich so lange mit meinen Füssen auf dem brüchigen Steg stehen konnte, wie ich es aushielt, dass in jedem Moment alles zusammenbrechen konnte, warum ich mich nicht daran störte, dass unser Leben nur mehr aus Ausreden und Geschichten bestand. - Wissen Sie, ich weiss es nicht, er hat mich betäubt, und irgendwie war es doch auch nicht schlechter als vorher oder nachher. Die Zeit war schön, die Autos, das Essen, der Schmuck. Der Ausblick auf eine bessere Zukunft…“ Ich schweige, blicke aber ruhig zu ihr hin.

Die Zigarette ist fertig, dafür entzündet sie nun eine für sich mit einem schlanken, goldenen Feuerzeug. „Alle waren gegen ihn, auch deshalb konnte ich ihn nicht verlassen, er ist ein guter Mensch, aber er hat nie eine Chance erhalten. Die Menschen hier hinten sind dröge und stur. Die wollen gar nicht, dass einer Erfolg hat. Er glaubte an sich, er lebte seine Projekte. Er hatte wenigstens Träume.“

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nuusche

 

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